Zur Lage in Efrîn

Wie gehabt: Ohne Dialog keine Lösung

Xerîb Hisso, TEV-DEM-Kovorsitzender, im Gespräch mit dem Kurdistan Report

»Die aktuelle Situation in den befreiten Gebieten ist sehr friedlich. Es gibt eine eigene Sicherheit und Verteidigung. Bei gezielten Angriffen auf diese Regionen kann es erneut zu Massakern und Genozid kommen. Aus diesem Grund befürwortet die Bevölkerung den Dialog mit dem Assad-Regime«, erklärt  Xerîb Hisso, Kovorsitzender der Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) über die aktuellen Entwicklungen in Rojava und Syrien gegenüber dem Kurdistan Report.

Frauenverteidigungseinheiten YPJ bei Straßenkontrollen in RaqqaXerîb Hisso, würden Sie sich bitte unseren Leser*innen kurz vorstellen.

Mein Name ist Xerîb Hisso, ich bin Kovorsitzender der Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft (TEV-DEM). Ich habe einen jahrzehntelangen Kampf hinter mir und bin seit drei Jahren Teil des politischen und gesellschaftlichen Kampfes. In jungen Jahren fing ich an, mich zu organisieren. Wir wurden als Jugendliche mit der Parole »Kurdistan ist kolonialisiert« aufgeweckt und in unserem Leben beeinflusst. So habe ich angefangen, mich in meiner Stadt Aleppo politisch und gesellschaftlich zu organisieren, und war ein Teil der Dachorganisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK).

Damals führten wir unter diesem Dach unsere Arbeiten durch. Bis 2013 war ich ein Volksaktivist. Und 2003 gründeten wir dann in Rojava eine Partei, die Partei der Demokratischen Einheit (PYD). Ich bin einer ihrer Mitbegründer*innen. Mit einem lang andauernden Kampf hatten wir nun angefangen, in der PYD zu arbeiten, um die Gesellschaft für die Schaffung einer demokratischen, freien und politischen Gesellschaft zu organisieren. Des Weiteren spielten wir in der 2011 gegründeten TEV-DEM eine wichtige Rolle. Von 2014 bis 2018 war ich Vertreter der PYD in der Autonomen Region Kurdistan und im Irak. Dort habe ich nach außen diplomatisch gearbeitet bis zur Ernennung zum Kovorsitzenden der Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft in Rojava. Auf dem dritten Kongress von TEV-DEM wurden Zelal Ceger und ich als Kovorsitzende ernannt. Heval Zelal und ich werden mit unseren Erfahrungen in der kurdischen Bewegung unsere Kraft für die Organisierung der Gesellschaft einsetzen.

Ein Ende des Krieges in Syrien ist noch lange nicht in Sicht. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?

Wir beobachten, dass sie mit sehr vielen Schwierigkeiten verbunden ist. Es ist eine Situation mit sehr vielen Problemen und ohne Klarheit über die Lage in Syrien. Es geht auf das achte Jahr zu und noch immer gibt es keine politische, freiheitliche und demokratische Lösung. Wenn die Lösungswege auf Krieg, Massaker, Verwüstung und Flucht basieren, kann kein Dialog zur Lösung des Problems geführt werden. Die Situation wird ständig blockiert sein. In ganz Syrien sehen wir keine Klarheit für die politischen Entwicklungen. Dabei gibt es Drohungen und Angriffe von außen. Das ist mit einer der Gründe für die Unklarheit und die Gefahr. Es hat zahlreiche Syrien-Friedensverhandlungen gegeben wie die Gespräche in Astana und Genf, die nur einer bestimmten Gruppe Schutz gewähren und bei denen am Verhandlungstisch gesessen wird, um staatlichen Machtinteressen zu genügen.

Sie nähern sich der Krise in Syrien aufgrund ihrer strategischen Interessen an, weil Syrien das Zentrum des Krieges im Mittleren und Nahen Osten ist. Sie ist das Erfahrungsfeld derer geworden, die das Land ausbeuten. Die Widersprüche und das Chaos zwischen den Mächten, die die aktuelle Lage bestimmen, und den militärischen und terroristischen Gruppen vergrößern sich. Es gibt keine Verhandlungen, weil es keine gemeinsame Dialogsprache gibt. Weder die mit Syrien verbündeten staatlichen Kräfte noch die militärischen Gruppen noch die dschihadistischen Gruppen sprechen diese Sprache. Etliche weitere Staaten diskutieren mit über die Lage und die Zukunft Syriens. Sie planen die Zeit nach dem Krieg im Sinne ihrer wirtschaftlichen Interessen, um ihre Einflussnahme mit dem Aufbau Syriens zu legitimieren. Ihre Unternehmen treffen Vorbereitungen, um sich auf syrischem Boden niederzulassen. Das ist der Grund, warum sich ein paar staatliche Mächte zu Wort melden und dringender als zuvor die Beendigung des Krieges und eine Lösung für die Stadt Idlib wünschen, um endlich mit ihrem Projekt beginnen zu können. Wenn wir uns die Entwicklung der staatlichen Mächte auf syrischem Boden anschauen, erkennen wir, dass die politischen Entwicklungen aufgrund der Machtinteressen ins Stocken geraten sind. Alle Bevölkerungsgruppen in Syrien und besonders diejenigen in der Föderation von Nord- und Ostsyrien sind mit permanenter Angst konfrontiert, weil es keine Lösung gibt und ständig die Sprache des Krieges herrscht. Die Sprache der Bedrohung und der schweren Waffen wird gesprochen. Diese Sprache verängstigt und beeinflusst die Bevölkerung. Es führt dazu, dass sie sich beugen. Die Bevölkerung ist nicht bereit für den Krieg, alle sind seiner müde und wünschen sich eine neue Politik, eine neue Lösung für Syrien. Die Verbündeten lassen nicht zu, dass die politische Agenda, die Einigung über die Frage einer Lösung für Syrien innersyrisch geklärt wird. Es wird sehr oft das Thema des Abkommens diskutiert; wenn eines verabschiedet wird, muss der Krieg aufhören. Das ist nicht der Fall, sondern sie verschärfen den Krieg, den Terror und die Bedrohung. Damit ist das Kalkül der Staaten mit Syrien noch nicht am Ende. Sondern sie sprechen jetzt von einem neuen Abkommen. Doch was kann ein Abkommen in all dem Chaos bringen? Wie soll es für die Entwicklung und für die Bevölkerung von Vorteil sein? In einem Zustand des Krieges, der Bedrohung und der Flucht haben die Gespräche in Astana und Genf keine Lösungen für die Bevölkerung in Syrien gebracht, wie soll dann ein Abkommen zu Gunsten der Bevölkerung ausfallen? Es wird auch unbrauchbar sein. Die Gespräche in Astana und Genf haben einen Teil der Bevölkerung außen vor gelassen.

Diese Gespräche werden nicht erfolgreich sein und platzen. Es ist ein Widerspruch. Sie wollen das Abkommen auf die Tagesordnung setzen und damit ein Gesetz für alle Gebiete Syriens verabschieden. Wie soll die Bevölkerung ein Gesetz und ein Abkommen akzeptieren, an denen eine bestimmte Gruppe Syriens nicht teilhaben und an den Entscheidungen nicht mitbestimmten konnte? Natürlich werden die Gespräche und diese Abkommen nicht vertretbar sein und anerkannt werden. Ihr Ziel ist es, diese Abkommen in Chaos und Krieg durchzubringen und der Bevölkerung zu zeigen, das Regime könne für ihre Sicherheit sorgen. Sie stellen neben Assad ein paar neue Persönlichkeiten und ändern vermeintlich ihre alte Regierungspraxis, doch wird das Regime niemals eine ernsthafte Veränderung in seinem System akzeptieren. Nach wie vor ist es ein diktatorisches und chauvinistisches Baath-Regime.

Es hatte zuvor angekündigt, das Abkommen sei eine rote Linie, es müsse akzeptiert werden. Diese Haltung ist für die Verbündeten von Vorteil, weil dadurch ihre Chance auf Einflussnahme steigt. Das ist auch der Grund, warum alle die aktuellen Geschehnisse verfolgen. Die Bevölkerung macht sich Gedanken über die politischen Entscheidungen und Schritte, es werden jedoch keine Entscheidungen zu ihren Gunsten getroffen, was zu großem Misstrauen gegen die Verbündeten und das Assad-Regime führt. Die Bevölkerung hat Angst, ist unsicher und erschöpft vom permanenten Ausnahme- und Kriegszustand. Wir können sagen, dass sich die Situation aktuell nicht verändert hat. Gerade wird sehr viel Aufmerksamkeit auf Idlib gelenkt. Es kann sein, dass sich je nach Entscheidung die aktuelle Lage auch ändert.

Können Sie uns sagen, wie die Lage momentan speziell in Efrîn aussieht?

Die Lage in Efrîn ist nicht gut. Es wird vom türkischen Staat und seinen engen dschihadistischen Verbündeten belagert. In Efrîn wurde ein historischer Widerstand geleistet gegen die Dschihadisten und die türkischen Besatzer. Das Ziel des Widerstands war es, die Besatzung fernzuhalten.

Wir sind Kurd*innen und wir verstehen uns auch als einen Teil Syriens. Wenn ein Nachbarstaat mit all den schweren Waffen, Militärverbänden, Panzern, Luftstreitkräften, Artillerie und Drohnen und all ihrer fortgeschrittenen Technik vor den Augen der Welt als einer der stärksten und wichtigsten NATO-Partner einen solchen Angriff auf Efrîn verübt, wird die Bevölkerung Efrîns sich natürlich entscheiden, dagegen Widerstand zu leisten. Die Bevölkerung in Rojava ist ein Teil des Widerstands geworden. Und die Türkei hat Efrîn jetzt belagert.

Die Art der Besatzung ist nicht mit einer herkömmlichen zu vergleichen. Bei der türkischen Besetzung Efrîns zeigten sich Methoden jenseits menschlicher Moral. Menschen wurden hingerichtet, die Bevölkerung geplündert, aus ihren Häusern vertrieben, die Frauen vergewaltigt und vermarktet, Hab und Gut verbrannt. Eine durch den Krieg erzwungene Besatzung geht mit dem Massaker an der einheimischen Bevölkerung einher. Unter der Fahne der Türkei und ihrer dschihadistischen Verbündeten findet eine menschenverachtende Zerstörung statt. Die Besatzung hat eine neue Dimension erreicht, bis zu 1000 Jahre alte heilige Stätten und historische Orte werden gezielt zerstört. Dagegen gab es keinen Aufschrei. Efrîn war eine der kurdisch geprägten Städte, die Zahl der arabischen Einwohner*innen war sehr gering. Die Angriffe der Türkei verstehen wir nicht als reinen Angriff auf eine Partei, sondern sie führt systematisch Krieg gegen den Willen der kurdischen Bevölkerung. Ihr Ziel ist es, die Kurd*innen zu vernichten. Das ist der Grund und ihre Mentalität, warum sie in Efrîn einmarschiert ist. Die Kurd*innen, die noch in Efrîn geblieben sind, müssen unter unmenschlichen Bedingungen und Repressalien leben. Es gibt keine genaueren Informationen über ihre Situation. Dort haben Êzîd*innen, Alevit*innen, Muslim*innen und Christ*innen zusammengelebt, mittlerweile sind ihre heiligen Orte zerstört. Êzîd*innen, die über Jahrhunderte ihre Religion verteidigt hatten, sehen ihre heiligen Stätten in Trümmern. Die Êzîd*innen und Alevit*innen werden in die Moscheen gezwungen. Alles Geplünderte aus der Region wurde in die Türkei transportiert und kleinere Gegenstände aus den Häusern der Einheimischen wurden von den dschihadistischen Gruppen auf dem Markt verkauft, in Azaz, Al-Bab, Cerablus (Dscharabulus) und in Dîlok (Gaziantep) fanden sich die geplünderten Gegenstände auf den Märkten. Die Region wurde nicht nur durch Plünderung zerstört, sondern auch die Olivenbäume, die für diese Region wichtig waren und von denen die Menschen gelebt haben, werden nach und nach gerodet. Die Besatzermentalität kennt keine Wertschätzung der Natur, sondern verhält sich ausbeuterisch. Die Olivenbäume wurden von den Vorfahren der Efrîner*innen gepflanzt. Mit viel Mühe wurde die Region gepflegt und heute überrollt die türkische Besatzung die Natur mit großen Baggern. Sie zerstört die Natur und entwurzelt Bäume. Das passiert vor den Augen der Weltöffentlichkeit und von NGOs, in den Medien und in Dokumenten wird darüber berichtet, es wird jedoch nichts dagegen unternommen. Das kann auch als eine andere Art der Besatzung verstanden werden. Der Bevölkerung, der Natur und dem Boden widerfährt eine Besatzung und es geschieht eine Veränderung, wir können hier von einer demographischen Umgestaltung sprechen. Nach und nach verlassen die restlichen Einheimischen Efrîn unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen, sie wollen sich aus der Unterdrückung der Besatzungsmacht befreien.

Sie flüchten in die befreiten Gebiete wie Minbic (Manbidsch) und Aleppo. Sie haben keinerlei Möglichkeiten sich zu finanzieren, alles wurde ihnen genommen. Sie haben nichts mehr außer Angst und Wut, die sie in sich tragen. Die dschihadistischen Gruppen aus Homs, Ghuta, Qalamun und Daraa wurden nach Idlib gebracht und jetzt weiter nach Efrîn. Die Verlegung dschihadistischer Gruppen samt Familien ist ebenfalls eine neue Art von Besatzung. Sie errichten neue Grenzen und verlagern ihre militärischen Stützpunkte nach Efrîn. Schwere Waffen und Panzer befahren die Stadt. Wir können dieses Vorgehen als eine Botschaft an das Assad-Regime verstehen: Wir haben dir dein Gebiet von den YPG/YPJ (Volks- und Frauenverteidigungseinheiten) befreit. Die Türkei ist aus der Geschichte bekannt für ihre Besetzungspraxis wie in Irak, Zypern und Syrien. Jetzt sind andere Territorien dran.

Heute ist Efrîn mit der Teilung und Besatzung und den Barbareien von IS, dschihadistischen Truppen und türkischem Regime konfrontiert – es ist einer großen Gefahr ausgesetzt. Es findet eine demographische Umwälzung statt, die Einwohner*innen Efrîns werden vertrieben und Teile der Bevölkerung aus den Gebieten Daraa, Idlib und Homs werden hier angesiedelt. Die Menschen aus Efrîn halten sich im Flüchtlingscamp in Şehba auf und befinden sich im zweiten Stadium des Widerstands. Die YPG-/YPJ-Kräfte setzen mit der Guerilla-Taktik ihre Aktionen gegen die Besatzer und deren Verbündete fort.

Die Bevölkerung aus Efrîn hat sich in der Nähe im Gebiet Şehba niedergelassen, um eines Tages zurückzukehren. Sie will ihre Heimat nicht verlassen. Sie ist mit ihrer Erde und dem 58-tägigen Widerstand stark verbunden. Sie haben dort große Opfer gebracht, Tausende von Kämpfer*innen haben ihr Leben gelassen. Die Bevölkerung verspricht sich zu verteidigen und zu ihren Orten zurückzukehren. Die Bevölkerung in Şehba ruft die internationale Gemeinschaft und die zivilen, demokratischen, fortschrittlichen Organisationen auf, Solidarität zu zeigen, um der Besatzung ein Ende zu setzen. Zuvor hatte es in Efrîn keine Besatzer und keine terroristischen Gruppen gegeben. Die momentane Situation Efrîns ist katastrophal, wir rufen alle fortschrittlichen demokratischen Gruppen, Einzelpersonen und Organisationen dazu auf – wie in Zeiten Kobanês und Şengals –, sich auch mit Efrîn zu solidarisieren.

Wie ordnen Sie die Einigung über Idlib ein, welche Deals wurden hier zwischen den verschiedenen Kräften ausgehandelt?

Wenn wir den Rahmen der Einigung zwischen der Türkei und Russland analysieren, stoßen wir wieder auf ihre Machtinteressen. Vor der Einigung hatte es in Teheran ein Treffen der drei Mächte gegeben. Dabei wurde die gemeinsame Verteidigung und Säuberung Idlibs von terroristischen Gruppen beschlossen. Danach ist die Türkei vom Beschluss zurückgetreten. Sie hat eingesehen, dass es keine positiven Folgen für sie mit sich bringt, wenn ein Krieg in Idlib ausbricht. Daher hat sie mit den Russen und der internationalen Gemeinschaft Absprachen getroffen und das Thema Idlib der internationalen Gemeinschaft auf die Agenda gesetzt. Nach den Gesprächen in Teheran hatte sich die Türkei in die Ecke gedrängt gefühlt. Für den Iran, Russland und das Assad-Regime kamen bei den Verhandlungen Gewinne heraus und für die Türkei nichts. Sie hat gemerkt, dass sie in die Falle gelockt wurde, und als Antwort darauf mit einigen Ländern aus der internationalen Gemeinschaft und dem Nahen und Mittleren Osten eine Gruppe gebildet. In der sind sieben, acht Länder vertreten und sie haben sie die »kleine Gruppe« genannt. Das ist aber keine kleine, sondern eine große. Deren Kraft darf nicht unterschätzt werden, es sind die Verbündeten und Unterstützer Erdoğans.

Sie sind gleichzusetzen mit der Unterstützung terroristischer und dschihadistischer Gruppen. In und um Idlib herum hat die Türkei zwölf Militärstationen eingerichtet. Von der eigenen Staatsgrenze bis zum syrischen Territorium hat sie alles besetzt, ihre Militärkräfte, Stützpunkte, Panzer und schweren Waffen in Idlib eingesetzt. Das sind die Informationen über die Stationierung um Idlib herum, wie viel in der Stadt selbst aufgestellt ist, bleibt unklar. Erdoğan wurde von der kleinen Gruppe unterstützt und traf sich mit dem russischen Staatspräsidenten Putin. Dabei wurde ein Abkommen zwischen der Türkei und Russland verabschiedet. Die Türkei hat einen Monat Zeit bekommen, alle sich in Idlib aufhaltenden Kräfte und Gruppen zu zerstreuen, wie die Al-Nusra, die auf der internationalen Terrorliste steht. Wenn sich Al-Nusra zurückzieht, wird es keine Auseinandersetzungen geben, ist das nicht der Fall, wird die Türkei sie bekämpfen.

In der Stadt Idlib sind zahlreiche dschihadistische und terroristische Gruppen, geflohen aus verschiedenen Gebieten Syriens. In Daraa, Damaskus, Ghuta hatten viele sich ergeben und die restlichen sind mit ihren Familien nach Idlib geflüchtet. Die Türkei hat eine Frist bis zum 15. Oktober bekommen, um die verschiedene Kräfte in Idlib zu entwaffnen und die Zone zu befreien. Es soll eine neue Grenze gezogen werden zwischen Homs und Aleppo. Die außenpolitischen Entscheidungen des türkischen Regimes beeinflussen das Landesinnere und die eigene Wirtschaft. Es besteht ein Embargo auf Metall und Aluminium, so dass die Währung der Türkei an Wert verloren hat. Das ist auch ein Resultat einer gescheiterten Politik. Bis zum 15. Oktober ist nicht mehr lange Zeit. Die dschihadistischen Truppen haben dazu keine Stellung bezogen. Andere Gruppen, unter dem Namen »Haras al-Din« Beschützer der Religion, haben angekündigt, Idlib nicht zu verlassen. Unter diesem Namen organisieren sich momentan acht Gruppen. Sie haben in einem Aufruf alle Gruppen aufgefordert, sich einzureihen und Idlib zu verteidigen. Die Nationale Befreiungsfront Syriens ist verbündet mit der Türkei und hat sich als einzige Gruppe zurückgezogen. Wenn sich die anderen Truppen nicht bis zum genannten Termin herausziehen, bedeutet das Krieg und den Angriff auf Idlib. Für das Regime und die Russen sind alle, die gegen sie zur Waffe gegriffen haben, terroristische Gruppen. Für die Türkei sind sie alle Verbündete. Der Untergang der jeweiligen Truppe bedeutet auch den Untergang der Türkei.

Idlib ist momentan ein wichtiges Thema für die internationale Gemeinschaft und die Türkei. Mit der Situation in Idlib wird sich herausstellen, ob die Türkei erfolgreich sein wird oder weiterhin in der Krise verbleibt. Die Ausweglosigkeit Erdoğans spiegelt sich in seinen Reden wider. Immer wieder droht er der Bevölkerung Syriens, die Föderation in Nord- und Ostsyrien, Minbic und Kobanê anzugreifen. Die Situation in Idlib wird keine Lösung für Syrien mit sich bringen. Auch wenn es von terroristischen und dschihadistischen Gruppen befreit wird, werden keine politischen Prozesse in Gang gesetzt, sondern es wird noch schlechter aussehen. Denn die Staaten, die mit ihren Machtinteressen kalkuliert hatten, gehen leer aus.

Auch die internationale Gemeinschaft rechnet mit Errungenschaften in der Region. Die Annäherung an die Türkei verläuft nicht auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene, sondern nur auf der wirtschaftlichen. Es ist äußerst wichtig, die Wirtschaftsbeziehungen trotz der Spannungen aufrechtzuerhalten. Wenn die Verhandlungen in Idlib positiv verlaufen und sie die Waffen all der dschihadistischen Gruppen erhalten, bedeutet das, dem Assad-Regime den Weg zu ebnen, die Waffen auch zu nutzen. Das heißt genauso, wenn das Regime Idlib angreift, können die dschihadistischen Gruppen nicht antworten. Und das führt zu einem großen Krieg in Idlib.

Wenn sie den Gruppen die schweren Waffen abnehmen, werden sie sie nach Efrîn bringen. Die dschihadistischen Gruppen samt ihren Waffen werden dorthin gebracht und auf Al-Bab, Cerablus und Azaz verteilt. Wir dürfen die Angriffe in Kobanê 2014 nicht vergessen, dort wurden die schweren Waffen, Panzer und andere aus Raqqa eingesetzt und in Şengal die Waffen aus Mûsil (Mosul). Es gibt eine interne Planung, die Waffen in Cerablus, Al-Bab, Efrîn und Azaz zu stationieren und von dort eine Offensive auf die Demokratische Föderation Nordsyrien zu starten. Das ist keine neue Planung.

Die Situation in Idlib wird keine Lösung bringen, die Probleme werden weiter vertieft und die Bevölkerung aus Syrien noch stärker bedroht. Sie wollen die terroristischen Gruppen nach Cerablus, Al-Bab und Azaz bringen und die Umsetzung bedeutet einen erneuten Stellvertreterkrieg in Syrien. Die Türkei will nicht, dass der Terror endet. Sie will nicht, dass die kleinen und großen dschihadistischen Gruppen bekämpft werden. Sie will einen permanenten Krieg in der Region. Erdoğan und seine Regierung instrumentalisieren die Kleingruppen in Syrien für ihre Politik. Heute wird Erdoğan weder im Mittleren und Nahen Osten noch in anderen westlichen Ländern akzeptiert. Bei Staatsbesuchen wird er boykottiert.

Die Lage in Idlib sieht nicht gut aus und kann mit den bisherigen Abkommen und Verhandlungen nicht verbessert werden. Die internationale Gemeinschaft hatte zuvor keine Stellung genommen zu den Geflüchteten und Zivilist*innen, die während des Krieges umgebracht wurden. Warum sorgt sie sich jetzt um sie in Idlib? Das ist nicht der eigentliche Grund.

Gäbe es wirklich eine ethische Politik und humane Entscheidungen, hätte die internationale Gemeinschaft auf den Hilferuf der über eine Million Menschen aus Efrîn reagiert. Doch der blieb unbeantwortet.

Die Türkei droht damit, die Flüchtlinge in ihrem Land und in Syrien nach Europa zu schicken, und das führt dazu, dass die internationale Gemeinschaft auf Kompromisse eingeht. Sie droht Europa mit den drei Millionen Flüchtlingen in ihrem Land und wälzt die Problematik öffentlich aus. In der Föderation in Nord- und Ostsyrien gibt es mehr als zehn Flüchtlingscamps wie in Cizîrê, Kobanê, Efrîn, Bozanê (Ain Issa), Hol, Hesekê – dort sind hauptsächlich Binnenflüchtlinge aus den Regionen Idlib, Hama, Aleppo, Homs, Damaskus und Tadmur (Palmyra) untergebracht. Sie sind in die befreiten Gebiete Rojavas und Nordsyriens geflüchtet. Es ist ethisch nicht richtig, sie für politische Interessen und Druck zu instrumentalisieren. Mit den geflüchteten Menschen werden Geschäfte gemacht. Das ist die jetzige Situation Idlibs – nicht vergleichbar mit der Situation in Daraa, Homs, Hama und Ghuta.

Die beiden Großmächte Russland und USA haben ein Übereinkommen, auch wenn manchmal Probleme auftauchen. Für beide spielt die Türkei eine wichtige Rolle. Beide ziehen sie an sich. Die USA wollen nicht, dass die Türkei aus der NATO geht, weil sie dort eine sehr wichtige Rolle spielt. Und Russland will die Türkei an sich binden und somit die NATO schwächen. Diese Kalküle treffen sich alle in Idlib. Die Türkei wird darauf bestehen, dass kein Krieg entflammt, und Russland wird den Krieg bevorzugen. Andererseits wollen die USA nicht, dass die dschihadistischen Gruppen sich auflösen, damit die Region nicht dem Iran und Russland überlassen wird. Daher interessiert die Lage Idlibs alle Mächte.

In Damaskus fanden im Juli auf Einladung der Assad-Regierung die ersten Gespräche mit dem Demokratischen Syrienrat statt; gingen sie weiter und was war der Inhalt der Treffen?

Bekanntlich ist das jetzige Baath-Regime ein diktatorisches und chauvinistisches. Die kurdische Bevölkerung hat Jahrzehnte unter ihm gelebt. Doch unsere Beziehung war eine von Autorität und Untertan. Das Regime erkennt die kurdische Bevölkerung nicht an, hat sie als Flüchtlinge und nicht als Einheimische angesehen. Es stand mit dem türkischen und dem iranischen Staat in ständigem Austausch über die kurdische Problematik. Es mag sein, dass zwischen den vier Staaten (Iran, Irak, Syrien und Türkei) oft Konflikte bestehen, doch sobald es um die Kurd*innen geht, kommen sie an einen Tisch. Wie soll es in einem solchen Land wie Syrien einen Dialog geben? Das Regime spricht keine Sprache der Freiheit und des Dialogs.

In den letzten Jahren war das Assad-Regime gezwungen, sich aus den kurdischen Gebieten zurückzuziehen, das sollte als Resultat eines Jahrzehnte andauernden Widerstands der kurdischen Bevölkerung verstanden werden. Außer Ausbeutung und Unterdrückung hat das Regime den Gebieten und der Bevölkerung nichts gegeben.

Nach der Revolution vom 12. Juli 2012, die in Kobanê angefangen hatte, verbreitete sich der Widerstand gegen das Assad-Regime auch in Cizîrê und Efrîn. Danach hat sich der Krieg ausgebreitet, d. h. viele bewaffnete und terroristische Gruppen bildeten sich, die Teile Syriens unter Kontrolle hatten. Das Regime konnte nur noch 16 % seines gesamten Territoriums verteidigen. Die Gebiete in Rojava wurden von den YPJ/YPG befreit und verteidigt und später wurden die QSD, die Demokratischen Kräfte Syriens, proklamiert, die nach und nach Städte und arabische Gebiete vom IS und anderen Gruppen befreiten. Nachdem die Verhandlungen zwischen der Türkei und Russland vorangeschritten waren, schöpfte das Regime Hoffnung. Es profitiert von der Beziehung zwischen den beiden Staaten, es handelt nach dem Willen des Irans und Russlands. Nach den Gesprächen mit der Türkei gab es die Astana-Treffen. Dort sollte die militärische Opposition in Syrien zurückbeordert werden. Diese Verhandlungen laufen noch. Es ist offensichtlich, dass die Kurd*innen und die dschihadistischen Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Die QSD haben viele Städte und Gebiete vom IS befreit, in Derazor werden die letzten IS-Anhänger bekämpft. Das Regime wurde durch den Iran und Russland gestärkt. In Aleppo, Homs, Hama, Ghuta und Daraa wurden die dschihadistischen Gruppen zurückgezogen und das Assad-Regime somit gestärkt. Das diktatorische syrische Regime erhofft sich mit dem Iran und Russland im Rücken, die Demokratischen Kräfte Syriens auch angreifen zu können. Doch die QSD sind eine organisierte und demokratische Kraft in Syrien, keine utopische, sondern eine fortschrittliche, organisierte, militärische, widerständige und revolutionäre Kraft.

Die Lösung für die aktuelle Lage in Syrien kann nur per Dialog erfolgen. Mit dieser Auffassung sind Delegierte des Demokratischen Syrienrats (MSD) nach Damaskus gegangen und haben Gespräche geführt. Diese dienten hauptsächlich dazu, sich kennenzulernen und weiteren Dialogen in der Zukunft den Weg zu ebnen. Das gemeinsame Gespräch dauerte drei bis vier Stunden. Es wurden viele Themen angesprochen und diskutiert, unter anderem wie ein direkter Dialog fortgesetzt werden kann. Es müssen Komitees gegründet werden, in denen der MSD und Vertreter*innen des Regimes Absprachen treffen, die der Bevölkerung zugutekommen.

Mit dem Dialog zwischen MSD und Regime hat sich die Türkei eingeschaltet und öffentlich Russland und das Regime bedroht. Als er sich entwickelte, fand am 7. September eine Sitzung in Teheran statt. Unmittelbar danach wurden die Gespräche zwischen MSD und Regime eingestellt. So wurde der Dialog gestoppt. Der MSD versucht weiterhin, den Kontakt und den Dialog aufrechtzuerhalten. Es ist nicht einfach, mit einem Regime ins Gespräch zu kommen, das von der Türkei und Russland gelenkt wird. Es betrachtet die kurdische Frage als eine Sicherheitsfrage und keine politische. Es zeigt nicht die Bereitschaft, den Konflikt innersyrisch zu lösen, sondern will seine militärische Macht in Syrien ausdehnen, um die Gebiete für sich zu sichern. Das ist der Grund, warum sie vorerst keinen Dialog akzeptieren werden. Die Vertreter*innen des MSD wissen, dass die Gespräche viel Zeit und Geduld in Anspruch nehmen werden. Die Türkei bereitet sich auf Verhandlungen mit dem Regime vor, um es von einer Intensivierung seines Kontakts mit Vertreter*innen der Demokratischen Föderation abzubringen.

Die Delegierten hatten mit den Vertreter*innen der Regierung viele Themen angesprochen, unter anderem wurden die türkische Besetzung syrischen Bodens und die Lage in Idlib diskutiert. Die türkische Regierung will mit dem Baath-Regime das 1998 vereinbarte Abkommen von Adana1 in die Praxis umsetzen. Erdoğan pflegt seit seinem Amtsantritt 2002 den Kontakt zu Syrien, um dieses Abkommen zu bekräftigen. Das ist auch einer der Gründe, warum sich die Türkei dem Assad-Regime annähert. Das syrische Regime äußert sich nicht zu dem Abkommen. Auf seinem Territorium wird eine Bevölkerungsgruppe vernichtet und ein Teil des Landes belagert, es nimmt jedoch keine Stellung dazu. Die Mentalität beider Staaten beruht auf Unterdrückung, Flucht und Vernichtung. Das sollte als Schwäche des eigenen Systems verstanden werden. Das Regime macht momentan eine schwere Zeit durch, weil die Tagesordnung fremdbestimmt wird. Wenn der Iran sich aus Syrien zurückzieht, wird die Politik des Assad-Regimes geschwächt, seine Kraft wird nicht ausreichen, um das gesamte Syrien militärisch zu verteidigen. Hier wird es auf die Hilfe der Demokratischen Kräfte Syriens angewiesen sein, es wird zum Dialog gezwungen. Die Widersprüche in der Mentalität des Regimes führen zu keinem Dialog, daher ist er ins Stocken geraten. Der MSD ist jederzeit bereit für erneute Gespräche und für das Ende des Krieges in Syrien. Man will keine Ausein­andersetzungen in der Region, denn beiden Seiten gereicht es zum Nachteil und die Großmächte gewinnen. Die Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) bestärkt den MSD in seinen Dialogversuchen. Der Dialog muss beginnen und fortgeführt werden. Wir sind auch ein Teil Syriens, haben das Land verteidigt und große Opfer gebracht. Das Potential von Landwirtschaft, Ökonomie und Energie liegt in den Gebieten östlich des Euphrats. Diese Ressourcen sind nicht nur für die kurdische Bevölkerung da, sondern für ganz Syrien.

Wenn das Regime die Gebiete im Norden und Osten Syriens angreift, werden diese Ressourcen verloren gehen und die Wirtschaft des Landes wird noch weiter geschwächt. Leidtragend wird wieder die Bevölkerung sein. Wir hoffen auf eine Fortsetzung des Dialogs, denn das Problem kann nur innersyrisch geklärt werden. Es ist die einzige Möglichkeit, sich vom Zentralismus weg in Richtung eines demokratischen und freien Syriens zu bewegen und das System der autonomen Selbstverwaltung auch in anderen Teilen Syriens zu verwirklichen.

Der sogenannte Islamische Staat wurde in Nordsyrien von den Demokratischen Kräften Syriens so gut wie geschlagen, wie sieht der Aufbau in diesen Gebieten aus? Wie ist der gesellschaftliche und politische Aufbau zu bewerten, gibt es Fortschritte?

In den befreiten Gebieten geht die Zahl der IS-Anhänger dem Ende zu. Der IS hat alle Gebiete ausgeraubt und zerstört. Wenn diese Gebiete befreit werden, gibt es auf allen Ebenen Schwierigkeiten. Die Hälfte der Bevölkerung aus den überfallenen Gebieten war in Flüchtlingsunterkünfte gegangen. Dann kehren diese Menschen zurück. Die existentiellen Bedürfnisse können nicht befriedigt werden. Ihre zerstörten Häuser können sie nicht allein wieder aufbauen. Mit der Ankunft in ihren befreiten Orten baut die Bevölkerung ihre autonome Selbstverwaltung auf. Nach und nach werden in den Städten Räte und in den Dörfern Kommunen geschaffen.

Eine Koordination wird gewählt. Der Rat setzt sich mit den Bedürfnissen der Gesellschaft auseinander und setzt sie im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten um. Die Bevölkerung kehrt mit Freude in ihre Gebiete zurück. Viele Familien wurden selbst Teil der Verteidigung und gingen in die Reihen der QSD. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen leben zusammen und organisieren sich selbst. Es gibt sehr gute Fortschritte wie zum Beispiel in Raqqa. Die Stadt wird von verschiedenen Bevölkerungsgruppen und religiösen Gruppen selbst verwaltet. Sie organisieren sich nach dem Prinzip der demokratischen Autonomie. In Raqqa haben sie Stadträte, den Gerechtigkeitsrat und die Verteidigung durch die Asayîş (Sicherheitskräfte) aufgebaut. Diese Gremien besetzen die Einheimischen aus Raqqa selbst. Es gibt sehr viele Schwierigkeiten im Alltag. Die Hilfe von NGOs kommt kaum in der Region an. Die Menschen leben nach Maßgabe der geringen Kapazitäten und der Gegebenheiten. In politischer Hinsicht sind in der Gesellschaft auch Fortschritte zu verzeichnen. Die Gebiete Tab­qa, Raqqa, Minbic und Bozanê werden durch die Koordination aus Rojava miteinander vernetzt. Die Bevölkerung ist ein Teil der politischen Entscheidung, sie diskutiert und verfolgt die aktuelle Lage. Ein anderes Bewusstsein wurde somit geschaffen. Es mag sein, dass der IS in fast allen Gebieten zurückgedrängt worden ist, doch sein Einfluss besteht im Alltag weiterhin. Die Drohungen der türkischen Regierung gegen Nord- und Ostsyrien mehren sich, was zu Unsicherheit und Angst in der Gesellschaft führt. Denn die Angriffe der Türkei sind gleichzusetzen mit denen des IS. Die Türkei wird auf syrischem Boden nicht selbst angreifen, sondern sie wird IS-nahe Gruppen schicken. Es ist möglich, dass sie eine neue IS-Gruppe gründet und in die Region schickt.

Insgesamt können wir sagen, dass es politisch wie auch gesellschaftlich Fortschritte gibt. Die Gesellschaft hatte vorher unter den diktatorischen Bedingungen des Assad-Regimes leben müssen, danach kam die Freie Syrische Armee FSA, die das Land ausgebeutet hat. Von den Energieverbrauchern bis hin zur Stromversorgung wurden alle Geräte und alles Zubehör geplündert. Als dann der IS kam, hat er die Bevölkerung physisch und psychisch zerstört. Menschen wurde der Kopf abgeschnitten, die Hände, und sie wurden bei lebendigem Leibe verbrannt. Daher lebt die Bevölkerung in ständiger Angst, er könne zurückkehren.

Heute leben die Menschen unter der Führung von QSD und MSD, alle finden ihren Platz in der Organisierung, bei der Arbeit und im Kampf.

Die arabische Frau, die nicht aus dem Haus konnte, organisiert sich heute in den YPJ, den QSD und im MSD. Die Frauen in der Region haben sehr große Fortschritte gemacht. Sie tragen zur Veränderung der gesellschaftlichen Mentalität bei. Die Bevölkerung lebt bewusster und organisiert sich selbst. Momentan ist die größte Angst, dass jederzeit ein Angriff der Türkei und Russlands mit Hilfe des Irans und des Regimes stattfinden kann. Sie ist hauptsächlich sunnitisch geprägt, und ein Angriff könnte auch auf einen schiitisch-alevitischen Religionskrieg geschoben werden.
Die aktuelle Situation in den befreiten Gebieten ist sehr friedlich. Es gibt eine eigene Sicherheit und Verteidigung. Bei gezielten Angriffen auf diese Regionen kann es erneut zu Massakern und Genozid kommen. Aus diesem Grund befürwortet die Bevölkerung den Dialog mit dem Assad-Regime.

Im Juli wurde auf dem dritten Kongress des Demokratischen Syrienrats (MSD) eine gemeinsame Koordination für die Gebiete in Nord- und Ostsyrien beschlossen, die unter der Kontrolle des MSD und der QSD steht. Welche Entwicklungen sind hier zu verzeichnen?

Der Demokratische Syrienrat hat seinen dritten Kongress erfolgreich beendet und beschlossen, in einem Monat eine gemeinsame Koordination für die Gebiete in Nord- und Ostsyrien zu besetzen. Diese Koordination repräsentiert sieben Gebiete – Cizîrê, Firat (Euphrat), Efrîn, Minbic, Raqqa, ­Tabqa und Bozanê, die eine Regierung bilden. Ein Rat wurde gegründet und der Ratsvorsitz gewählt sowie der Vorsitz des Gerechtigkeitsrats. Mit diesen verschiedenen Gremien verwalten sie sich im Rahmen des demokratischen Systems selbst. Viele Komitees werden aus den verschiedenen Volks- und Religionszugehörigkeiten aus den Gebieten Nord- und Ostsyriens gestellt und bilden ein Teil des Ministeriums. Das Ministerium ist dann verantwortlich für die Bereiche Politik, Diplomatie, Verteidigung, Wirtschaft und Dialog und gleichzeitig ist es die Koordination für die sieben Gebiete, von denen drei in Rojava liegen und vier in den arabischen Gebieten. Unter dem Dach des Demokratischen Syrienrats wird sich organisiert und die militärische Kraft bilden die Demokratischen Kräfte Syriens.


Fußnote:

1 1998 hatte die Türkei mit aggressiven (Kriegs-)Drohungen erreicht, dass Syrien der PKK-Führung keinen Aufenthalt mehr gewährte. Im anschließend vereinbarten Abkommen von Adana verpflichtete sich Syrien u. a., auf seinem Territorium keine die Sicherheit und Stabilität der Türkei gefährdenden Aktivitäten und ebenso keine Aktivitäten der PKK zuzulassen.


 Kurdistan Report 200 | November/Dezember 2018