Die Politik des Bündnisses Russland/Türkei/Iran

Auch aus Astana kann keine Lösung erwachsen

Interview Riza Altun, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans

Rojbin Deniz und Dicle Ito führten das Interview mit Riza Altun im südkurdischen Behdinan. Es erschien am 22. Januar bei der kurdischen Nachrichtenagentur ANF/Firat News. Wir dokumentieren es stark gekürzt in deutscher Übersetzung.

Resultiert die Krise in Syrien aus der Stärkung oder der Auflösung des Nationalstaates?

Wir als Bewegung denken, dass sich die Nationalstaaten in einer Phase des Zerfalls befinden. Sie haben einen äußerst problematischen Punkt erreicht und sind nicht einmal mehr in der Lage, sich selbst weiterzuentwickeln und zu schützen. Daher würde sich kaum jemand ihrer Überwindung entgegenstellen. Das, was mit »neue Weltordnung« oder »Greater Middle East Project« bezeichnet wird, ist ein Zustand, in dem das System der Nationalstaaten den Kapitalismus nicht mehr ausreichend vertreten kann und in keiner Weise mehr Freiheiten zulässt. Das ist ihr allgemeiner Zustand. Er beschreibt nur eine von mehreren Krisen des Kapitalismus. Entweder wird er durch vielfältige Restaurationsmaßnahmen zu überwinden versucht oder er hat gravierende Folgen.

Dem entspricht auch die Situation in Syrien. Trotzdem sollte sie in ihrer ganzen historischen Tiefe behandelt werden. Das heißt, eine Erklärung allein mit dem Nationalstaat wäre unzureichend und nicht verständlich. Auch seine gesellschaftlichen oder geografischen Grundlagen, auf die er sich gründet, sind von Bedeutung. Der Mittlere Osten ist eine Region, die in ihrer Geschichte immer wieder schwere Konflikte und Kriege erlebt hat, verursacht von Staatensystemen und Hegemonen.

Feindseligkeiten zwischen unterschiedlichen Glaubens- und ethnischen Gemeinschaften gab es auch vor dem Nationalstaat, durch Staaten, Herrschaften und Großmächte provozierte Realitäten.Auch in Rojava demonstrierten am 15. Februar Tausende für die Freilassung Öcalan | Foto: ANHA

Später, während der beiden Weltkriege, als sich auch im Mittleren Osten zunehmend ein Weltsystem etablierte, wurden infolge dessen Nationalstaaten gegründet. Sie entstanden hier nicht aus heiterem Himmel, sondern entwickelten sich inmitten dieser historischen Widersprüche [der Weltkriege, Anm. d. Ü.]. Wer an der Macht war, wer herrschte, wer die Mehrheit darstellte, wurde geradezu als Nationalstaat organisiert, sie wurden zu Herrschern und Hegemonialkräften. Andere Gemeinschaften wurden verdrängt. Das führte dazu, dass bereits bestehende Konflikte sich noch weiter verschärften.

In Syrien bestehen die Konflikte seit dem Bestehen des Nationalstaates ununterbrochen. Wir haben es mit einer Macht zu tun, die durch mehrere Militärputsche wechselte, das Land in ständigen Aufruhr versetzte, wo Machtwechsel durch Intervention von außen vollzogen wurden, bis hin zur jüngsten Krise. Diese letzte Krise ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Krise des Nationalstaates. In Regionen mit einer größeren Anzahl unterschiedlicher Gesellschaften, unterschiedlicher sozialer Schichten ist die Krise des Nationalstaates umso größer. Diese Realität sollten wir sehen. Syrien ist ein gutes Beispiel dafür.

Wir können nicht behaupten, dass es sich beim Assad-Regime um ein ausschließlich autoritäres Regime handelt, gestützt auf eine monoethnische Gesellschaft. Aber wir können sagen, dass Syrien ein Nationalstaat ist, gegründet von einem elitären Kreis, vor allem aus der aus sunnitischen und alawitischen Kreisen rekrutierten Elite. Die gegenwärtige Situation in Syrien ist ein natürliches Resultat dieser Entstehung und Führung.

Allen voran die Alawiten sind unzufrieden mit dem syrischen Regime. Es wurde immer angenommen, dass der syrische Nationalstaat sich auf die Alawiten stützt, deren Interessen vertritt und von ihnen beherrscht wird, aber dem ist nicht so. Ihre Rechte unter dem Regime in Syrien sind begrenzt. Sie besitzen nicht das Recht, sich als Konfessionsgruppe frei zu artikulieren und zu entwickeln. Sie sind im Rahmen der bestehenden gesellschaftlichen Widersprüche regelrecht in die Ecke gedrängt. Es ist kein Geheimnis, dass die sunnitische Gesellschaft ebenfalls mit dem Regime unzufrieden ist. Die anderen ethnischen Gemeinschaften können sich im Nationalstaat Syrien ohnehin nicht frei bewegen und artikulieren. Der Nationalstaat in Syrien hat sich in der Form einer arabischen Republik gegründet. Auf die Frage, auf welche gesellschaftlichen Kreise sich das Regime denn stütze, würde die Antwort lauten: uneingeschränkt auf keinen. Es ist auf der Basis der Verleugnung dieser gesellschaftlichen Kreise errichtet. Diese Verleugnung erfolgt mit Repression. Eine Gesellschaft, gegründet auf Gewalt, Verbote und Unterdrückung. Diese Politik wird vom Nationalstaat am besten umgesetzt.

Um auf die Frage zurückzukommen, mit welchem politischen System die bestehende Krise gelöst werden könnte, so kann klar gesagt werden: nicht auf der Grundlage eines Nationalstaates oder eines unitären Systems. Das würde die Krise lediglich verschärfen. Keine andere Kraft unter denen, die kämpfen und/oder herrschen, außer denjenigen, die sich in der Demokratischen Föderation Nordsyrien organisieren, hat ein Lösungsprojekt für Syrien vorgelegt. Denn für diese herrschenden Kräfte ist Syrien nur ein Aspekt in ihrem hegemonialen Interessenbereich im Mittleren Osten. Weil sie das so sehen, ist ihr Problem nicht ausschließlich Syrien. Sie sind darum bemüht, wie sie ihre Interessen am besten sichern können, und sind hinter einem Regime her, das ihren Interessen entspricht. Der Nationalstaat in Syrien kann das nicht. Er hat keinerlei Bedeutung, außer dass eine Elite die Macht als Trumpf in der Hand hält. Sie hat weder klare Grenzen noch einen bestimmten Machtbereich. Sie ist nicht einmal in der Lage, ihr eigenes Machtzentrum zu sichern und zu verteidigen. Das sind Anzeichen dafür, dass der Nationalstaat in großem Maße gescheitert ist.

In dieser gegenwärtigen Kriegssituation verfügen unterschiedliche Kräfte über Machtbereiche. Die Kämpfe haben unmittelbar damit zu tun, dass Machtkämpfe zwischen verschiedenen Cliquen ausgetragen werden.

Das Regime ist bemüht, auf der Grundlage regionaler und internationaler Unterstützung einen neuen Nationalstaat zu errichten. Aber das scheint nicht möglich. Denn diesem Zentralstaatssystem stehen viel größere und stärkere Kräfte gegenüber. Sie kämpfen auch für ein Syrien im Sinne ihrer Interessen. Sie sind aber genauso zersplittert. Daneben gibt es zahlreiche regionale Kräfte wie Saudi-Arabien, Katar und die Türkei, die sich ebenfalls für ein Regime einsetzen, das ihren Interessen entspricht, und dafür wiederum Kräfte wie den IS, Al-Nusra und Ahrar Al-Scham instrumentalisieren. Sie kämpfen für einen Staat mit salafistischer Weltanschauung. Dann gibt es noch die Kräfte, die sich in der Demokratischen Föderation Nordsyrien organisieren. Sie kämpfen für ein demokratisches Syrien. Neben diesen sind andere nicht namentlich aufgeführte Kräfte ebenfalls aktiv. Alle kämpfen für ein Syrien nach ihren eigenen Interessen.

Wo ist das Trio Russland/Iran/Türkei in der gegenwärtigen Syrienpolitik einzuordnen? Die drei behaupten ja, eine Lösung für Syrien entwickeln zu wollen. Wie bewerten Sie das?

Iran ist ein alter strategischer Bündnispartner Syriens und setzt sich dort seit dem Beginn des Krieges gemeinsam für ein unitäres Syrien ein, man ist nicht offen für eine andere als eine nationalstaatliche Lösung. Iran agiert wie gesagt zusammen mit dem syrischen Regime.

Die USA haben einen anderen Zugang zum Frieden, weder mit dem Regime, noch mit den salafistischen Gruppen. Sie sind bislang zurückhaltend mit Äußerungen zu einer möglichen Lösung für Syrien. Sie agieren mit unterschiedlichen Kräften. Russland ist erst später in Syrien eingestiegen mit der Absicht, über noch aus realsozialistischen Zeiten stammende Beziehungen und Investitionen von Syrien aus in die gesamte Region zu intervenieren. Das syrische Regime hatte das Bündnis natürlicherweise mit Iran begonnen und weitete es auf Russland aus. Diese Allianz führte zu Widersprüchen zum einen mit den USA und zum anderen auch mit der in einem sunnitischen Block mit den Saudis agierenden Türkei. Diese Situation hat sich später geändert.

Als sich die Türkei auf den Weg des Politikwechsels begab, indem sie ihre bisherigen Bündnisse aufgab und sogar verriet, hat sie ihre Beziehungen zu Russland aufzubauen begonnen. Jetzt haben wir es mit einer neuen Situation zu tun, in der sie näher an Russland, Iran und Syrien gerückt ist. Grund für diesen Wechsel war zum einen der Bankrott ihrer alten Politik sowie ihre immer klarer werdende Hauptstrategie, mit allen Mitteln die Verleugnung der Kurden aufrechtzuerhalten und diese daran zu hindern, einen gesicherten Status zu erlangen. Das alles führte dazu, dass sich die Türkei zunehmend in den Block mit Russland begeben hat. Sie hat eigentlich ihre Großmachtziele für die Region, ihre osmanischen und an alte Bündnispartner angelehnten Hegemonialbestrebungen zum größten Teil aufgegeben. Sie hat eine Niederlage erlitten. Vor allem der Freiheitskampf der Kurden in allen vier Teilen Kurdistans hat die Türkei dermaßen unter Druck gesetzt, dass sie nicht einmal mehr in der Lage war, ihre Staatsgrenzen und ihre Staatsstrukturen zu verteidigen und zu bewahren. Daraufhin hat sie ihre Politik geändert. Während sie im Inland in eine faschistische Diktatur abdriftet und ideologisch-politisch entgleist, entwickelt sie nach außen ihre kurdenfeindliche Politik mithilfe entsprechender Bündnisse. Auf diese Weise versucht sie sich zu »schützen«. In ihrer Wahrnehmung bedeutet die Existenz der Kurden ihre eigene Vernichtung. Mit dieser Sicht geht sie Bündnisse ein.

Als die Türkei nicht die erhoffte Unterstützung von Europa und den USA bekam, wandte sie sich Russland zu. Das akzeptierte diese Zuwendung ganz pragmatisch, um sich der Türkei in der Region bedienen zu können.

Die Türkei macht in dieser Beziehung das Kriterium geltend, dass Russland gegenüber den Kurden und deren Forderung nach einem Status kein Entgegenkommen zeigt. Solange Russland sich daran hält, wird die Türkei auf alle russischen Forderungen eingehen müssen. Eine solche Annäherungsweise hat automatisch auch Iran und Syrien eingeschlossen. Iran ist ebenfalls gegen einen Status für die Kurden. Syrien hält sich etwas zurück, weil das gegenwärtige Regime nicht das ganze Land beherrscht, aber unter den früheren Gegebenheiten würde es sich ebenfalls gegen die Kurden verhalten. Folglich entstand dieses neue Bündnis Türkei, Syrien, Russland und Iran. Aber die Frage, ob es von langer Dauer und effektiv sein wird, würde ich verneinen. Wenn man sich die traditionellen und historischen Beziehungen zwischen Russland und der Türkei anschaut, sieht man, dass sie belastet waren. Auch ihre unterschiedliche ideologisch-politische Ausrichtung verringert die Wahrscheinlichkeit einer gemeinsamen strategischen Beziehung. Also kamen wegen der taktischen Beziehungen zwischen Russland und der Türkei die Gespräche in Astana [s. S. 34] auf die Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund wird sich aus Astana keine bedeutende Entwicklung ergeben.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Iran sind ähnlicher Natur, sogar noch komplizierter. Iran ist schiitisch und mit seiner ideologischen und politischen Ausrichtung auf den Mittleren Osten orientiert. Er verfolgt Hegemonialbestrebungen in der Region. In der Türkei hingegen gibt es einen Apparat, der von den Osmanen übernommen wurde und heute bis zum Salafismus entgleist ist. Eine politische Struktur, die zuletzt den Nationalismus der MHP mit dem Fundamentalismus der AKP verbunden hat. Es ist ein eher dem sunnitischen Block zugewandter Apparat. Ein Zusammenkommen dieser beiden Staaten, die auf konfessioneller Grundlage Politik betreiben, ist im Mittleren Osten äußerst schwierig. Es ist nicht möglich, dass sie ihre Beziehungen auf ein strategisches Niveau heben. Es ist kein aktuelles Problem, sondern ein historisches.

Die schiitische Ausrichtung Irans und die sunnitische Ausrichtung des Osmanischen Reiches hatten in der Geschichte immer wieder zu großen Kriegen geführt. Angesichts des letzten Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Nationalstaaten, scheint sich dieser Konflikt zwar etwas entspannt zu haben, aber aufgehoben ist er nicht.

Was passiert gegenwärtig in der Region? Es wird nicht einfach sein, die Beziehungen zwischen Iran und der Türkei ausschließlich auf der Grundlage der antikurdischen Politik langfristig aufrechtzuerhalten und zu vertiefen, während Iran und die Türkei mit dem sunnitischen Block unterschiedlichen hegemonialen Bestrebungen nachgehen. Vor diesem Hintergrund sollten keine großen Erwartungen in diese Annäherung gesetzt werden.

Zum Verhältnis zu Syrien: Die Türkei ist eine der Hauptverantwortlichen für den gegenwärtigen Zustand Syriens. Es gibt den historischen Konflikt um die Gebietsansprüche auf Hatay, nun ergänzt durch die Politik der Türkei, das Regime stürzen zu wollen. Wahrscheinlich werden die Araber in Syrien nicht zulassen, dass das Regime dort die Aktivitäten der Türkei ignoriert und auf seine historischen Gebietsansprüche in Hatay verzichtet. Deshalb sollten die inneren großen Widersprüche des gegenwärtigen »Bündnisses« nicht außer Acht gelassen werden, die das Potential bergen, jederzeit in Auseinandersetzungen zu münden.

Sie hatten in einem Ihrer früheren Interviews auf Al-Bab als den Ort verwiesen, wo sich diejenigen Kräfte auflösen werden, die in Syrien Ansprüche stellen. Sehen Sie sich durch die Entwicklungen bestätigt?

Ja. Es ist sehr interessant, dass es keine relevante Macht gibt, die dem Einmarsch der Türkei in Cerablus nicht zugestimmt hätte. Die USA, Russland, das Regime und die südkurdische PDK waren damit einverstanden. Ihre Vertreter waren am Tag des türkischen Einmarschs in Cerablus in Ankara. Der iranische Außenminister, aus Südkurdistan Barzanî, die US-Vertreter und der Auslandsvertreter Russlands waren alle dort. Bis zu einem gewissen Grade kann man ihre Zustimmung zum Einmarsch verstehen. Denn all diese Kräfte verfolgen in dieser Region eine Politik. Aber dann haben die Entwicklungen eine Form angenommen, die alle gleichermaßen unter Druck setzt. Keine der Kräfte ist in der Lage, ihre alleinige Macht in Syrien zu etablieren. Weder die USA, Russland, Iran noch das Regime können das. Welche Kraft macht Fortschritte? Die Demokratischen Kräfte Syriens QSD. Sie verfolgen eine Strategie, mit der die Freie Syrische Föderation [Demokratische Föderation Nordsyrien] über Cerablus, Minbic und Al-Bab bis nach Afrin ausgeweitet werden sollte. Eine solche Entwicklung widerspricht den Interessen der anderen Kräfte, eine Lösung für Syrien ist für sie im Moment nicht opportun. Was also hätte passieren müssen? Entweder hätten sie sich selbst gegen diese Freiheitskräfte stellen und eine neue Kriegsphase beginnen müssen oder einen Freiwilligen passieren lassen. Das war der Grund für ihre Bewilligung des Einmarschs der Türkei in Syrien. Der war anfangs an Bedingungen geknüpft. Die USA hatten z. B. der Türkei Operationen in einem 20 km breiten Streifen innerhalb Syriens erlaubt. Unklar ist, wie weit die Zustimmung Irans, Russlands und des Regimes ging. Als die Türkei in Cerablus einmarschierte, drang sie zu Beginn nur 20 km vor, wie von den US-Amerikanern zugestanden. Mit ihrem Eindringen wurde verhindert, dass die Demokratische Föderation Nordsyrien das gesamte Nordsyrien umfasst.

Dann gab Russland der Türkei seine Zustimmung, bis nach Al-Bab vorzugehen. Was war die Gegenleistung? Dass die Türkei die Banden, zu denen sie Kontakte pflegte und die sie unterstützte, Russland überlässt. Diese Gegenleistung hat Erdoğan erbracht. Er hat alle oppositionellen Kräfte aus Damaskus in den Zustand der Waffenruhe versetzt, diejenigen in Aleppo kampfunfähig gemacht und später die Kräfte aus Damaskus und Aleppo nach Idlib verlegt. Damaskus und Aleppo wurden dem Regime überlassen. Die Gegenleistung war also der Verrat Ankaras an den Oppositionskräften. Russland verfolgt jetzt die Politik, die militärische und politische Position der Türkei in Al-Bab zu stärken, um einerseits das Regime mehr zu stützen und andererseits die kurdischen Errungenschaften zu bedrohen. Ein Angriff auf Minbic ist vor diesem Hintergrund nicht ausgeschlossen. Die gegenwärtige Beziehung Russlands zur Türkei ist momentan darauf beschränkt.

Und welche Politik verfolgt hier die Türkei? Sie wird von ihrer Kurdenfeindlichkeit bestimmt. Dienten die anfänglichen 20 km der militärischen Intervention der Türkei in Nordsyrien den USA, so der Vorstoß nach Al-Bab jetzt Russland. Es will seine politischen Vorhaben mit Astana noch ausweiten. Damit soll das Regime noch mehr gestärkt, seine Macht über das ganze Land hergestellt und der alte zerbröckelte unitäre Nationalstaat wiederbelebt werden. Vor diesem Hintergrund bedeuten die Gespräche in Astana für die Kräfte, die für eine wahre Lösung in Syrien kämpfen, ausgeschlossen zu werden, damit die Türkei von Russland noch weiter für die eigenen Interessen benutzt werden kann.

Wie Sie zutreffend sagten, wurden nicht die QSD nach Astana eingeladen, sondern die ENKS-Kräfte. Was für eine Lösung kann unter diesen Umständen überhaupt entwickelt werden?

Bei den US-geführten Gesprächen in Genf war ebenfalls der Versuch unternommen worden, unter Ausschluss der Kurden nach einer Lösung zu suchen. Dabei opferten die USA die Kurden, um im Gegenzug die von der Türkei organisierten Banden für die eigenen Interessen instrumentalisieren zu können. Als Russland damals in einer schwächeren Position war, forderte es immer wieder, dass die Partei der Demokratischen Einheit PYD ebenfalls in die Gespräche einbezogen werden müsste. Jetzt werden auf Initiative Russlands und der Türkei sowie mit Unterstützung Irans und teilweise Chinas Gespräche in Astana geführt. Jetzt schließt Russland selbst die Kurden aus. Nun ist es an den USA zu erklären, dass die kurdischen Kräfte ebenfalls in Astana sein müssten. Allein anhand dieses Beispiels wird vieles deutlich. Russland und die USA glauben das Recht zu besitzen, alle nach ihren Interessen instrumentalisieren zu können. Sie sind unaufrichtig.

Können mit dieser Unaufrichtigkeit wichtige Probleme wie die in Syrien gelöst werden? Die USA versuchen ihre Interessen über die Genfer Gespräche, Russland seine über die Astana-Gespräche wahrzunehmen. Und jeder will die anderen im Rahmen taktischer Beziehungen vereinnahmen. So wie damals der Ausschluss der Kurden von Genf die Gespräche dort erfolglos bleiben ließ, so wird heute ihr Ausschluss von Astana die Gespräche dort erfolglos bleiben lassen. Eine Lösung, die die Demokratische Föderation Nordsyrien nicht einbezieht, hat keine Chance auf Erfolg. Eine durch ihren Ausschluss erzwungene Lösung wird nur mit großen Massakern und Niederlagen zu erreichen sein.

Die Türkei ist Hauptinitiatorin dieser salafistischen Kräfte in Syrien. Sie wurden von der Türkei mit Waffen, Geld und Logistik auf den Beinen gehalten. Sie stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Türkei. Solange diese die Kräfte finanziert, werden sie an ihrer Beziehung zur Türkei festhalten. Aber im Moment gibt es Probleme. Dass sie aus Damaskus und Aleppo abgezogen und dass diese Städte dem Regime überlassen wurden, dass die Türkei ihre Beziehungen mit Russland ausweitet, führt bei den Bandenkräften zu Unmut und Unbehagen. Ihre Existenz in Idlib bringt sie in große Gefahr. Sie sehen es. Sie laufen Gefahr, ein ähnliches Schicksal zu erfahren wie die Tamilen. Ihre belagerte Position in Idlib, wo sie leicht zerbombt werden können, macht sie besorgt. Das wiederum wird dazu führen, dass sie auseinanderbrechen und aufeinander losgehen, was wiederum die Türkei in Astana sehr schwächen wird. Eine Türkei, die nichts anzubieten hat, wird ihren Reiz für Russland verlieren. Das Problem ist also nicht nur, dass die QSD ausgeschlossen wurden, sondern auch die Situation der Banden ist konfliktbeladen. Diese Gruppen sind bereits umstritten. Einige haben sich nicht an Astana beteiligt. Saudi-Arabien nahestehende Kräfte sind umstritten, die Katar nahestehenden ebenfalls. Die mit der Türkei kollaborierenden habe ich bereits erwähnt. Eine oppositionelle Gruppe war vor einigen Tagen in Idlib stark von Bombardierungen betroffen. All diese Entwicklungen werden sich auf die Gespräche in Astana auswirken. Schon jetzt kann gesagt werden, dass dort ein Erfolg äußerst problematisch ist. Die Astana-Gespräche sind eigentlich ein Zusammenschluss von Kräften, die dafür eintreten, dass Syrien ein noch reaktionäreres Regime wird. Das dürfen wir nicht vergessen.

Die Akteure in Astana schmieden Pläne, die in keiner Weise eine demokratische Entwicklung für Syrien vorsehen, weil es nicht in ihrem Interesse liegt. Die Türkei z. B.: Will sie ein demokratisches Syrien? Nein, sie will mit allen Mitteln verhindern, dass die Kurden und somit auch die anderen Volksgruppen ihre Rechte und ihre Freiheit erlangen. Will Iran ein demokratisches Syrien? Nein. Russland interessiert es überhaupt nicht, was mit Syrien ist. Hauptsache, seine Interessen sind gewahrt, ob durch ein faschistisches, diktatorisches oder ein demokratisches Regime. Wie also soll unter diesen Umständen eine Lösung entwickelt werden? Nehmen wir an, es kommt zu einer Lösung. Die Türkei erklärt z. B., sie lehne Assad gerade nicht ab, Iran und Russland wollen für den Moment Assad. Also die Hauptkräfte von Astana sind dafür, dass er weiterhin an der Macht bleibt und das alte System weiter besteht. Und Assad agiert wie der Chef aller, er verbündet sich in Astana ebenfalls mit ihnen. Was für ein Syrien kann unter diesem Bündnis entstehen? Der alte Nationalstaat, das alte unitäre System. Wenn dem so ist, wenn alles beim Alten bleiben soll, wie erklärt man sich dann den letzten fünfjährigen Eklat? Wird ihn jetzt jeder eingestehen und sich zurück auf seinen Platz begeben? Das würde bedeuten, die Ungeheuerlichkeiten des IS und Al-Nusras einzugestehen und sich dem Regime zu ergeben. Das würde bedeuten, dass sich die QSD von ihrem Freiheitskampf verabschieden müssten. Ist das möglich? Nein, es wird keine Abkehr vom Projekt der Demokratischen Föderation Nordsyrien geben. Diejenigen, die dafür kämpfen, werden bis zuletzt daran festhalten. Auch wenn sie alle bei ihrem Vorhaben untergehen sollten, eine andere Alternative kann es nicht geben. Sie haben das ja bereits erklärt.

IS und Al-Nusra haben noch ihre Position inne. Sie haben eine andere Vorstellung von der Zukunft der Region, wofür sie kämpfen. Auch sie werden an ihrem Vorhaben festhalten. Ihr Kampf in Al-Bab gegen die Türkei kann diese dort sogar in die Ausweglosigkeit treiben. Glaubt man wirklich, dass die nach Idlib gebrachten Kräfte weiterhin an ihrer Beziehung zur Türkei festhalten werden, wenn sie sehen, wie diese sich gegenüber Russland und Iran vermarktet? Nein, werden sie nicht. Sie werden sich auflösen, sich vielleicht in einer neuen Gruppe formieren, oder sie werden IS und Al-Nusra durch ihren Anschluss stärken. Wo also bleibt eine Lösung? In dieser Konstellation und unter diesen Umständen kann aus Astana keine Lösung erwachsen.