Das erste Volksfest der Kurden

Mihrican, Fest der Sonne

Sabri Agır, Journalist

Mihrican, Mêhri-Giyan, Mêhr-Mihr. Also Sonne. Giyan bedeutet auch Leben, Geist.

Mihrican ist das erste Volksfest der Kurden. Diese Tradition, deren Wurzeln bis zu den Zeiten von [der Göttin] Mitra zurückreicht, wird heute noch in unterschiedlicher Form gepflegt. Mihrican ist die Feier, die Freude, Glück, Dankbarkeit, Teilen, Treue und Darbietung. Alles ist in Mihrican enthalten und der Sinn und das Wesen gehen wie bei allem verloren, wenn sich dessen Wesen, dessen Kern entfernt wird.
Es heißt, dass Mihrican zu den Zeiten Mitras, als der Sonnenkult das Leben beherrschte, als Fest der Dankbarkeit für die Sonne begonnen worden sei.Mihrican, Fest der Sonne

Diese Feier, auch »Geist der Sonne« genannt, wird in verschiedenen Regionen und vor allem in der êzîdischen Gesellschaft als »Fest des Geistes«, als »Fest der Freundschaft und Treue« bezeichnet.

Zu Mitras Zeiten versammelten sich die Menschen, besorgt über den immer kürzer werdenden Tag, besorgt darüber, dass sich die Sonne immer seltener am Tag zeigte, mit all ihren Produkten auf einem Platz, um der Sonne ihre Dankbarkeit und Treue zu zeigen. So entwickelte sich Mihrican – das Fest.

In der Überlieferung dauerte Mihrican meist eine ganze Woche lang. Heute wird es seinem Wesen nach am ehesten von den Kakaî, Êzîden und Ahl-e Haqq [auf Kurdisch Yâresân, im Iran lebend, heterodox schiitisch] gefeiert. In Şengal unter Leitung der Pîrs [religiöse Führer/Meister bei Êzîden, aber auch bei Aleviten und Sufis] begangen, bezieht es sich auf die Geschichte von Derweş und Edûlê. Es heißt, Derweş und Edûlê seien sich zum ersten Mal beim Mihrican begegnet, Edûlê habe ihn beim Halay-Tanz gesehen und sich in ihn verliebt.

Die Tradition von Mihrican ist nicht nur bei den Kurden verbreitet. Auch iranische und westasiatische Volksgruppen feiern es, wenn auch etwas verändert.

Mihrican ist im Zuge des Befreiungskampfes mit seinem Wesen neu erwacht. In Europa wurde das erste Fest 1989 organisiert. Die Menschen kamen zusammen und präsentierten ihre Volkstänze.

In den folgenden Jahren wurde Mihrican im Gedenken an die gefallene Sängerin Mizgîn und den gefallenen Musiker und Sänger Sefkan organisiert und entwickelt, in den Jahren, in denen auch in Europa die kurdische Kulturarbeit aufgenommen wurde und die Kurden sich auch dort organisierten.

In diesem Jahr wurde das 29. Mihrican gefeiert, auf dem überwiegend Volkstänze präsentiert wurden. In den letzten Jahren waren zusätzlich auch Musik und Gesang dazugenommen und aufgeführt worden. Ich war schon einige Male zu den während des Mihrican abgehaltenen Seminaren eingeladen gewesen. Ich wurde Zeuge, wie unglaublich junge Menschen Seminare in den Bereichen Geschichte, Soziologie, Mythologie, Ethnologie durchführten.

Wie sie sich in Figuren, ihren Kostümen, mit ihrer Musik und dem Rhythmus, der Melodie darstellten, das hat mich am meisten beeindruckt.

Diese lebendigen Aktivitäten werden nicht in ihrem ganzen Umfang in den Mihrican-Wettbewerben widergespiegelt. Es wurde ein Wettbewerb entwickelt, bei dem die Konkurrenzkultur in den Vordergrund gerückt ist. So passiert es auch mal, dass gegen eine andere, als Konkurrenz gesehene, Tanzgruppe mit List vorgegangen und z. B. ein Teil ihrer Kostüme versteckt wird ... Auch wenn in dem Moment dieses Verhalten, das mit dem Wesen von Mihrican nicht im Einklang steht, als eine niedliche Geste wahrgenommen wird, dauert es nicht lange, bis sie sich des Konkurrenzverhaltens bewusst werden. Denn das Wesen, der Sinn von Mihrican ist nicht der Wettbewerb, sondern die Feier.

Begleitet von Tanz und Musik drücken die Menschen ihren Dank an die Sonne und die Natur für all die innerhalb eines Jahres geschaffenen Werte und Produkte aus.

Die jungen Forscher sagen, dass die Tänze zu Beginn von Gesang und Musik begleitet worden seien. Die Tänze sind zugleich Ausdruck der Liedertexte.

Das Wort bietet gleichzeitig die größte Sicherheit gegen Assimilation. Die Herrschenden können Melodie und Rhythmus der Musik durch die Veränderung des Taktes ihrem Kern entfremden, aber nicht das Wort und die Dengbêj-Tradition für sich vereinnahmen.

Zum Beispiel kann ein Nichtkurde nicht die für die Dengbêj notwendige Artikulation simulieren. Als das »Wort« geächtet wurde, haben die Kurdinnen bei ihren Tänzen statt des »Wortes« (Gesangs) Davul (Trommel) und Zurna (Flöte) eingeführt. Früher waren Davul und Zurna dabei nicht zum Einsatz gekommen; sie stammen ursprünglich aus der Region Karatschi in Pakistan. Im Zuge von Flucht und Wanderungsbewegungen zwischen Regionen und Gesellschaften traten diese Instrumente bei den Volkstänzen an die Stelle des Wortes. Gegenwärtig übernehmen diese Funktion aufgrund des Desinteresses von Musikern Keyboard, Saz oder elektronische Musik. Es ist die Folge von Assimilation und Erosion, dass Mihrican in geschlossene Räume gedrängt wurde und zum Wettbewerb von Tanz und Musik geworden ist.

Während Kunst und Kultur eines Volkes über seine Revolution erneut zu ihrem Wesen finden und in den Händen dieser jungen Menschen neu geschaffen werden, sehen wir eine gegenteilige Entwicklung in der Gründungsphase der türkischen Republik. Eine westlich orientierte Gruppe innerhalb der Republik sagte zu Mustafa Kemal Atatürk: »Zwar haben wir die Republik gegründet, aber die Nation fehlt darin.« Daraufhin wurde überlegt, was denn getan werden könne, um diesen Mangel zu beheben. Dann kam der Vorschlag, Informationen über Kulturen aus allen Regionen der Türkei zu sammeln und auszuwerten, um daraus ein Gefühl, eine Mentalität, einen Glauben und Geist für eine einzige Nation schaffen zu können. So wurden annähernd 300 Sammler in alle Ecken des Landes geschickt, die damit begannen, Daten über die Folklore und Kultur der unterschiedlichen Regionen wie z. B. Religion, Sprache, Feste, Volkstänze, Musik, Märchen und Sagen, Witze, Kinderspiele, Essensbräuche, Kleidung zu sammeln und aufzuzeichnen, um daraus wissentlich oder unwissentlich Gefühle, Mentalität und Lebensweise einer neuen Nation zu kreieren.

All diese volkskundlichen und ethnografischen Daten wurden im Zeitraum 1926–1940 im gesamten Land zusammengetragen, um sie später an der Fakultät für Sprache, Geschichte und Geografie des staatlichen Konservatoriums in Ankara sowie in den entsprechenden Abteilungen des Kulturministeriums zu vereinheitlichen.

Der deutsche Komponist Paul Hindemith und der ungarische Komponist, Pianist und Musikethnologe Bela Bartók waren damit beauftragt, die gesammelten kulturellen Werte im Bereich der Volks- und klassischen Musik für die Staatspolitik im Sinne der Schaffung einer Nation zu erschließen. Nach der Ausarbeitung des Konzepts wurde mit seiner Umsetzung begonnen. Zuvor waren auch andere Komponisten wie Necil Kâzım Akses, Hasan Ferit Alnar, Unvi Cemal Erkin, Cemal Reşit Rey und Ahmet Adnan Saygun, die alle in Europa studiert hatten, an dieser Phase der Konstruktion neuer Kultur mit ihrer Arbeit beteiligt. Vor allem Namen wie Aşık Veysel, Celal Güzelses, Hamiyet Yüceses, Necdet Varol, Samime Sanay oder Zekai Tunca bezeichnen Stimmen, die diese Assimilationstradition besangen.

Zu diesem Zwecke wurden Institutionen wie die Volkshäuser, Dorfinstitute, Konservatorien, die Fakultät für Sprache, Geschichte und Geografie in Ankara eingerichtet. In den Jahren 1950–60 wurde diese Politik mit ihrer Wirkung und ihrem Erfolg zur Diskussion gestellt und man kam zu dem Schluss, dass die Kopie nicht effektiv sein könne, solange das Original existiere. Diese Erkenntnis führte zu den Jahren der Verbote. Die historischen Errungenschaften unterschiedlicher Kulturen und Minderheiten in Sprache, Glauben, Kultur und Kunst wurden hohen Strafen unterworfen. Das waren die Jahre, in denen der Gebrauch eines kurdischen Wortes fünf Kuruş Strafe kostete.

Mit nur einem Artikel wird es nicht möglich sein, den gesamten Umfang dieser Assimilationspolitik wiederzugeben. Jedes einzelne Thema für sich bietet ausreichend Stoff für Recherchen. Mit diesem Artikel wollte ich aufzeigen, wie bedeutend und historisch wertvoll die Kulturarbeit der jungen Menschen im Rahmen der Bewegung für Demokratische Kultur und Kunst (TEV-CAND) gegen die Assimilationspolitik ist.