Bräuche und Sitten in Kurdistan

Der Duft der Nelkenkette

Devriş Çimen, Journalist, Silêmanî

Der Duft der NelkenketteDer Geruch der Gewürznelke belebt den Geist, wirkt gegen Vergesslichkeit und bringt Erleichterung. Mit ihm sind aber auch verschiedene Geschichten und Traditionen verbunden. In Europa kennt man sie hauptsächlich zum Würzen von Saucen, Fleischgerichten oder Lebkuchen. Sie wirkt antibakteriell und wie ein Lokalanästhetikum betäubt sie den Schmerz, so dass viele sie gegen Zahnschmerzen benutzen.

In Kurdistan aber wird aus Gewürznelken die Milvankêy Mîxik, eine Halskette, hergestellt. Vor allem in Rojhilat (Ostkurdistan/Westiran) und Başûr (Südkurdistan/Nordirak) wurde diese Kette in Zeiten, in denen es weder Parfüm noch andere Düfte gab, genutzt, um gut zu riechen. Getragen wurde sie aber insbesondere auch von jungen oder stillenden Frauen.

Diese Kette, die in Başûr auch heute noch am Straßenrand von Kindern oder am Rande der Märkte von alten Menschen verkauft wird, ist nicht nur eine Halskette oder modisches Accessoire. Es handelt sich um eine alte Tradition, die bis heute in den Dörfern u. a. die Hauswände schmückt.

In mühsamer Arbeit aus Gewürznelken und bunten Perlen hergestellt, verströmt die Kette stets einen beruhigenden Duft in die Umgebung. So auch im kurdischen Silêmanî (Sulaimaniyya) in Başûr, wo eine Frauengruppe ihre Handarbeiten ausstellt, unter anderem die Nelkenkette. Bis zu vier Stunden benötigt die 32-jährige kurdische Nijo Mustafa, um eine solche Kette herzustellen. Sie stellt sie nicht nur aus, sondern verkauft sie auch. Bis zu 10 000 Irakische Dinar (ca. 8 Euro) kostet eine Kette. Nijos Arbeiten genießen großes Interesse. »Es kommen immer mehr Käuferinnen«, sagt sie. Manchmal verkauft sie bis zu zehn Stück am Ausstellungstag. Nijo Mustafa kennt die Geschichte der Nelkenkette allerdings nur als gut riechende Kette.

Doch es ist bekannt, dass vor allem in den Dörfern Bräute und junge Frauen zu Festtagen oder Hochzeiten eine solche Kette tragen. Feierlichkeiten, bei denen auch der traditionelle kurdische Gowend getanzt wird. Gowend wird, Hand in Hand, als Kreis getanzt und beansprucht viel Körperbewegung, dies erzeugt Körperwärme und Schweiß. Die Kette verströmt dann ihren Geruch noch stärker und duftet intensiver als zuvor. Da die Nelken in Verbindung mit Nässe intensiver riechen.

Eine Duftattrappe!

Aber besonders in Rojhilat wird mit der Kette, die hier häufig von jungen Müttern getragen wird, eine weniger bekannte Tradition gelebt, die mit der Mutter-Kind-Beziehung zusammenhängt. Der Säugling gewöhnt sich an den mütterlichen Duft. Wenn er schläft, legt die Mutter ihre Kette neben ihn. Das Baby wähnt die Mutter in seiner Nähe und schläft so ruhiger. Der Geruch der Nelkenkette wird daher auch als »Mutterduft« bezeichnet.

Siyamend Muini (56) aus Mahabad berichtet, dass diese Tradition im Gebiet Mukriyan in Rojhilat noch weit verbreitet sei, und fügt hinzu: »Sie begegnen dieser Tradition an vielen Orten in Kurdistan, vor allem in den Dörfern, weniger in den Städten.« Die aus Silêmanî stammende 72-jährige Sare Sengawi erzählt, dass ihr die Kette geholfen habe, um ihre Kinder in den Schlaf zu bekommen. Sie berichtet außerdem: »Früher gab es kein Parfüm. Die Nelkenkette war eine Pracht für die tragende Person, mit der sie sich von den anderen abhob. Leider wird diese Tradition nicht mehr so intensiv gelebt.«
Um viele Bräuche und Sitten, die in Kurdistan zur Normalität geworden sind, kreisen interessante und lehrreiche Geschichten wie die der Milvankêy Mîxik. Außer von den Menschen in Rojhilat und Başur wird diese Tradition auch von den in Anatolien lebenden Turkmenen gelebt und hoffentlich auch in den urbanen Regionen wieder lebendig werden.