Blutige Partnerschaft

Geheimdienstzusammenarbeit zwischen Deutschland und Türkei

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke.

Im Schnelltempo peitschte die Bundesregierung im Juni ein neues Antiterrorpaket durch den Bundestag. Erneut wurden damit die Befugnisse von Geheimdiensten und Bundespolizeibehörden ausgeweitet.

Das »Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus« ermöglicht dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) das Anlegen gemeinsamer Personendateien mit ausländischen Nachrichtendiensten. Außerdem kann die Bundespolizei künftig auch verdeckte Ermittler »zur Gefahrenabwehr« einsetzen. Diese Maßnahme zielt offenbar vor allem auf die Abwehr von Flüchtlingen. So benannte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) als zentrales Einsatzfeld die »Durchdringung« von Schleusernetzwerken. Schließlich soll anonymes Telefonieren unterbunden werden. Prepaid-Guthaben für Mobiltelefone sollen nur nach Vorlage eines Ausweisdokuments verkauft werden.

Die Regierung jagte das Gesetzespaket im Schnellverfahren vor der Sommerpause des Bundestages durch – unter Verletzung grundlegender parlamentarischer Prinzipien. So benannten die regierungsbeteiligten Bundestagsfraktionen für die öffentliche Anhörung am Montag, dem 20. Juni, die Chefs von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Verfassungsschutz als »unabhängige Sachverständige«. Alle drei Behörden waren an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beratend beteiligt gewesen. Aus Protest gegen diese Farce hatten Linke und Grüne die Anhörung verlassen.<kein schmutziger Deal mit der Türkei ...

Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützer und die Linksfraktion haben erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken insbesondere gegen die durch das Gesetz ermöglichten Geheimdienstdateien geltend gemacht. Bürgerrechtler warnten vor einem Paradigmenwechsel: Wurden Daten mit ausländischen Nachrichtendiensten bislang nur auf Ersuchen ausgetauscht, so sollen sie nun in einem gemeinsamen Datenpool kontinuierlich zur Verfügung stehen. Die nicht hinreichend erfolgte Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Datenschutzkontrolle bei dem Gesetzentwurf verletze das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, beklagte die Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Andrea Voßhoff. Der von der Linksfraktion als Sachverständiger bestellte Strafrechtler Prof. Dr. Fredrik Roggan sah den Gesetzentwurf »offensichtlich nicht im Einklang« mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In Deutschland mit geheimdienstlichen Mitteln gesammelte Informationen können an ausländische Behörden fließen, die auch polizeiliche Zwangsbefugnisse wahrnehmen, warnte Roggan. Das Deutsche Institut für Menschenrechte befürchtete, dass »Menschen, die in Deutschland ohne konkreten Straftatenverdacht nachrichtendienstlich beobachtet werden«, zukünftig »in anderen Ländern mit polizeilichen Ermittlungen oder administrativen Sanktionen wie Einreise- oder Flugverboten konfrontiert« werden.

Neben den in der »Counter Terrorism Group« zusammengeschlossenen 30 Geheimdiensten aus EU-Staaten sollen auch die Nachrichtendienste der übrigen NATO-Staaten sowie weiterer Länder wie beispielsweise Israels einbezogen werden können. Voraussetzung hierfür ist eine nicht näher definierte »Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien«. Hier stellt sich nun die Frage, inwieweit dies z. B. auf den NATO-Staat Türkei zutrifft. Im Innenausschuss des Bundestages versicherten die Vertreter des Bundesinnenministeriums noch am 22. Juni, dass angesichts der Menschenrechtslage in der Türkei eine solche Kooperation mit dem türkischen Geheimdienst »derzeit« ausgeschlossen sei. Für die Zukunft wollten sich die in dem Bundestagsgremium anwesenden parlamentarischen Staatssekretäre nicht festlegen.

Die Schamfrist schien nicht einmal zwei Wochen zu umfassen. Denn bereits am Sonntag, dem 3. Juli sprach sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gegenüber dem Deutschlandfunk für eine entsprechende Geheimdienstzusammenarbeit auf Grundlage des neuen Gesetzes mit der Türkei aus. »Wir können uns ja unsere Partner nicht aussuchen«, rechtfertigte de Maizière die angestrebte Geheimdienstzusammenarbeit mit der »geographischen Schlüssellage« der Türkei, Millionen in Deutschland lebenden türkischstämmigen Menschen und der NATO-Partnerschaft. Er könne doch nicht »auf Information über einen für Deutschland gefährlichen Menschen verzichten, nur weil sie aus einem Staat kommt, wo Pressefreiheit nicht in vollem Umfang gewährleistet ist«, verharmloste der Bundesinnenminister die menschenrechtliche Situation in der Türkei. Dort sind derzeit eine halbe Million Kurden nach Zerstörung ihrer Städte durch die Armee auf der Flucht. Hunderte Zivilisten starben in den vergangenen Monaten bei sogenannten Antiterroroperationen. Der türkischen Armee wurde per Gesetz Straffreiheit selbst bei Kriegsverbrechen zugebilligt. Dutzende regierungskritische Journalisten sitzen in Gefängnissen, den Abgeordneten der linken kurdischen Demokratischen Partei der Völker HDP droht nach dem Entzug ihrer Immunität nun die Verhaftung. Doch nach Ansicht von de Maizière ermöglichte erst eine geheimdienstliche Zusammenarbeit eine »Nähe für das, was wir für richtig halten in Sachen Menschenrechte«.

Allerdings müssten gemeinsame Geheimdienstdateien »in jedem einzelnen Fall genehmigt werden«, fügte der Bundesinnenminister hinzu – obwohl doch das Wesen einer gemeinsamen Datei gerade darin besteht, dass keine genehmigungspflichtigen Einzelinformationen abgefragt werden müssen. Es gehe beispielsweise um den Informationsaustausch bezüglich der »reisenden Kämpfer, die über die Türkei nach Syrien und in den Irak kommen«, erklärte de Maizière. Hier könnte Ankara in der Tat wichtige Informationen liefern. Schließlich war und ist der türkische Geheimdienst nachweislich daran beteiligt, ausländische Kämpfer dschihadistischer Terrorgruppen wie des IS und der Al-Nusra-Front logistisch zu unterstützen, mit Waffen zu versorgen und über die Grenze nach Syrien zu schleusen. Doch während die türkische Regierung die Al-Nusra-Front wieder von ihrer Terrorliste gelöscht hat, sieht sie in den im Irak und Syrien gegen die Dschihadisten kämpfenden kurdischen Rebellen von YPG/YPJ und PKK-Guerilla derzeit die gefährlichsten »Terroristen«.

Eine gemeinsame Antiterrordatei mit dem Verfassungsschutz würde es dem türkischen Geheimdienst ermöglichen, auf Informationen zu kurdischen und türkischen Exilpolitikern zurückzugreifen. Die Folgen können durchaus tödlich sein. So sind französische Ermittler laut Spiegel online mittlerweile überzeugt, dass der türkische Geheimdienst in die Ermordung der kurdischen Politikerinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im Januar 2013 in Paris verwickelt war.

Auf eine Dringliche Frage der Linken in der Fragestunde des Bundestages am 6. Juli bezüglich der Äußerungen des Bundesinnenministers machte die Bundesregierung wieder einen Rückzieher: »Aktuell ist keine gemeinsame Datei des Verfassungsschutzes mit den türkischen Partnern vorgesehen.« Entwarnung bedeutet das leider nicht. Denn eine Geheimdienstzusammenarbeit zwischen BND, Verfassungsschutz und dem türkischen Geheimdienst MIT gibt es auch ohne gemeinsamen Datenpool schon seit Jahrzehnten – zu Lasten der in Deutschland lebenden türkischen und kurdischen Oppositionellen.

Die Auslandsvertretung in der Türkei ist eine der ältesten des BND. Sie geht noch auf die BND-Vorläuferin »Organisation Gehlen« zurück, die Ende der 1940er Jahre gemeinsam mit dem türkischen Partnerdienst in Istanbul einen Stützpunkt zur Überwachung des Schiffsverkehrs vom und zum Schwarzen Meer errichtet hatte. Die enge Zusammenarbeit zwischen BND und MIT vor und nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 ist inzwischen umfangreich belegt. Selbst wenn der MIT in Mordanschläge verwickelt war – wie bei der Ermordung des türkischen Kommunisten Celalettin Kesim 1980 durch Graue Wölfe in Berlin – oder Anschläge beging – wie 1986 auf das türkische Generalkonsulat in Hamburg –, hatte dies keine Folgen für die Geheimdienstkooperation. 2002 nahm der BND den vom türkischen Geheimdienst nach Deutschland geschickten Kader der militant linken DHKP/C Alaattin A. auf seine Gehaltsliste. A., der 2010 verhaftet wurde, aber aufgrund seiner Verdienste für den Staat sowie als Kronzeuge mit einer milden Strafe davonkam, stieg bis zum Deutschlandchef der verbotenen DHKP/C auf.

Wieweit sich die aktuellen Ereignisse in der Türkei, der gescheiterte Militärputsch und der politische Gegenputsch Erdoğans, auf die zukünftige Geheimdienstzusammenarbeit zwischen Berlin und Ankara auswirken werden, ist derzeit noch ungewiss. So hat der türkische Präsident Erdoğan angekündigt, in der Türkei Polizei, Militärpolizei und Geheimdienst zu einer neuen Supersicherheitsbehörde zusammenfassen zu wollen. Skepsis gegenüber dem Partner am Bosporus ist inzwischen auch bei der Bundesregierung zu erkennen. Zu befürchten ist allerdings, dass es bald schon wieder pragmatisch heißt: »Business as usual.«