Sînem Mohamed: Es wurden große diplomatische Fortschritte für Rojava gemacht

Unsere Tür ist für alle Völker Syriens offen

Sînem Mohamed, HAWARNEWS.COM, 12.08.2016

Die Europavertreterin der Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltung von Rojava, Sînem Mohamed, erklärte, dass im Bereich diplomatischer Beziehungen Fortschritte gemacht worden seien. »Die Zeit, in der wir in den USA und den europäischen Ländern Vertretungen eröffnen, ist nah«, so Sînem Mohamed. Sie erklärte, dass sie mit vielen oppositionellen Persönlichkeiten im Ausland in Kontakt stehe. Gegenüber Cîhad Roj von HAWARNEWS.COM berichtet die Europavertreterin über ihre diplomatischen Arbeiten und die Treffen mit Kreisen der Opposition gegen das Assad-Regime.

Die demokratische Selbstverwaltung der nordsyrischen Region Rojava ist jetzt mit einem Büro für Kontakt- und Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland vertretenIn welcher Lage befindet sich die diplomatische Arbeit der Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltung?

Wir haben wirkliche Fortschritte mit unserer Diplomatie im Ausland und insbesondere mit Europa gemacht. Wir haben beispielsweise in Europa etliche Treffen auf parlamentarischer Ebene mit Verantwortlichen der Staaten und Außenminister_innen und Abgeordneten durchgeführt. Der Inhalt unserer Gespräche betraf die Situation von Rojava und das demokratisch-föderale System. Mit einigen Staaten waren die diplomatischen Beziehungen nicht besonders herzlich. Insbesondere Deutschland hat die Entwicklungen, die das Volk von Rojava erlebt hat, erst nicht hingenommen. Sie wollten keine Beziehung mit Rojava aufbauen. Sie hatten sich bemüht, auf diese Weise ihre guten Beziehungen zur Türkei zu wahren.

Wir haben uns mit linken Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland getroffen. In den letzten Monaten fanden auch Treffen mit der Regierungspartei Deutschlands statt. Der Vertreter von Angela Merkel war auch dabei. Dazu kommt, dass wir mit Vertreter_innen der SPD zusammenkamen, die Teil der Koalitionsregierung ist. Außerdem trafen wir uns mit dem deutschen Außenministerium und mehrfach mit denjenigen, die für Syrien verantwortlich sind. Unsere Kontakte waren wichtig und zeitigten positive Ergebnisse. Sie waren Ausdruck eines Politikwechsels von Deutschland gegenüber Rojava. Die Vertretung von Rojava, die wir hier eröffnet haben, zeigt das. Nach der Eröffnung besuchten sie diplomatische Delegationen und Regierungsvertreter_innen.

Es gibt in Europa Bemühungen, eine Öffnung gegenüber Rojava zu schaffen. Etliche Kreise, mit denen wir uns getroffen haben, äußerten ihre Bereitschaft, Rojava zu helfen, und nahmen wahr, dass das in Rojava aufgebaute Modell das passendste System sei, um eine Lösung für Gesamtsyrien zu schaffen.

Wie haben sich die Beziehungen zu den Staaten der Welt nach der Eröffnung der Vertretungen verändert?

Die Eröffnung der Vertretungen trug zum Fortschritt der diplomatischen Beziehungen mit Europa bei. Die Treffen mit der europäischen Bevölkerung und Verantwortlichen der Staaten stellten einen großen Schritt dar. Nachdem wir in Paris die Vertretung eröffnet hatten, wurden unsere Beziehungen zur französischen Regierung relativ gut und sie unterstützen uns gut. Es gibt auch Vertretungen in Schweden und Russland, die wir als Ergebnis von Verhandlungen eröffnet haben. Der türkische Staat verlangte von diesen Ländern die Schließung. Doch Russland und Schweden hörten nicht auf diese Forderungen und unsere Vertretungen in diesen Ländern arbeiten ohne jegliche Einschränkung weiter.

Haben Sie vor, auch in anderen Ländern Vertretungen Rojavas zu eröffnen?

Ja, ohne Zweifel. Wir trafen uns mit dem US-Außenministerium und dem Weißen Haus. Sie haben uns signalisiert, dass sie der Eröffnung einer Vertretung in Washington positiv gegenüberstehen. Im Moment führen wir Routinearbeiten durch. Bald werden wir die Vertretung eröffnen. Außerdem trafen wir mit dem US-Außenministerium bezüglich des Kampfes gegen den Terror in Syrien und der politischen und humanitären Lage zusammen. Wir hatten auch Zusammenkünfte in Holland, sobald wir unsere Vorbereitungen abgeschlossen haben, werden wir auch dort eine Vertretung eröffnen.

Den Verantwortlichen in Europa gefiel das Beispiel Rojava. Sie sagten, dass das Beispiel Rojava die passendste Methode sei, um die Syrienkrise zu lösen. Sie brachten zum Ausdruck, dass das System von Rojava auf Selbstverteidigung und der Gleichberechtigung von Frau und Mann beruhe, dass in ihm alle Gruppen in Sicherheit ihr Leben führten und es sich eben nicht auf ein religiöses Schariat stütze.

In Schweden wurden Solidaritätsgruppen für Rojava gegründet. In diesen Gruppen sind keine Kurd_innen. In den USA haben sich zwei Rojava-Solidaritätskomitees gebildet, davon eines in New York, es besteht aus Studierenden und Akademiker_innen, das andere in Washington. Außerdem haben wir auch Treffen mit Portugal, Kanada und anderen Staaten.

Sie wollten als Delegation nach Kanada reisen, aber um dies zu verhindern, verweigerte ihnen die PDK-Regierung in Südkurdistan die Passage über den Grenzübergang von Semalka. Worauf hatte ihr Besuch in Kanada abgezielt?

Das Weltsozialforum (WSF) fand in diesem Jahr in Kanada statt. Das WSF-Vorbereitungskomitee hatte die Rojava-Delegation offiziell eingeladen. Aber da die PDK ein Embargo gegen Rojava praktiziert, verhinderte sie die Passage unserer Delegation über den Grenzübergang Semalka. Das ist der Grund, warum wir am Forum nicht teilnehmen konnten.

Unsere Delegation sollte in offiziellem Auftrag auf dem Forum ein Seminar geben zur Rolle der Frau in Politik, Gesellschaft und insbesondere Militär, zu den Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) und dem Demokratischen Föderalismus.

Wir haben dem Komitee des Forums einen Entschuldigungsbrief geschrieben, in dem wir die Gründe für unser Fehlen dargelegt haben. Das Komitee hat ebenfalls sein Bedauern ausgedrückt. Seine Verantwortlichen forderten ein Treffen mit uns nach dem Forum.

Man spricht von neuen Treffen zum Thema Syrien außerhalb der Genfer Gespräche. Was denken Sie dazu? Bemüht sich die Demokratisch-Autonome Selbstverwaltung darum, daran teilzunehmen?

Man kann 1, 2, 3, 4 oder auch hundert Genfer Konferenzen machen, wenn die Vertreter_innen der Völker Syriens nicht mit einbezogen werden, werden sie alle scheitern. Die Personen, die im Namen der Opposition daran teilnehmen, vertreten die Türkei und die Regionalstaaten. Sie vertreten nicht die Völker Syriens. Sie bezeichnen sich nur als Vertreter_innen der Opposition. Einige von ihnen leben sogar in Europa und haben keine Ahnung, was die Völker Syriens erleben.

Auf den Treffen, die wir im Ausland zur Syrienkrise hatten, wurden die Genfer Gespräche diskutiert. Eines der zentralen Themen war der Aufbau einer Vertretung der Völker Syriens und insbesondere des kurdischen Volkes. Die Antworten waren immer folgendermaßen: »Wenn Vertreter des kurdischen Volkes an den Treffen teilnehmen, dann würde die Türkei die Gespräche verhindern wollen. Das Wichtige für uns war der Beginn der Gespräche, später könnt Ihr auch teilnehmen.« Wir haben immer wieder so darauf reagiert, dass die Kurd_innen in der Vertretung der Völker Syriens einen Platz haben. Aufgrund der letzten Entwicklungen bestehen immer mehr Staaten auf unserer Teilnahme.

Wenn nötig, wiederhole ich nochmal, wenn die Kurd_innen und die Demokratische Selbstverwaltung von Rojava, die aus allen Völkern besteht, mit ihren organisierten Institutionen, ihrer militärische Struktur und ihrer politischen und gesellschaftlichen Kraft nicht zu den Genfer Gesprächen eingeladen werden, dann wird sich nichts aus Genf ergeben, außerdem sind die dort getroffenen Entscheidungen dann in keiner Weise bindend. Wir haben ein Projekt, das wir mit den Völkern Syriens diskutieren wollen. Wir bereiten einen Syrien-Rojava-Kongress vor. Dieser Kongress zielt darauf ab, eine gemeinsame Lösungsmethode für die Syrienkrise zu entwickeln.

Wird dieser Kongress eine Alternative zu den Genfer Gesprächen darstellen?

Wir haben dieses Thema mit den anderen Staaten diskutiert. Wir haben gesagt, dass die Krise auf unserem Territorium stattfindet. Warum diskutieren wir keine Lösung für Rojava und setzen diese um? Wir werden uns auch mit den syrischen Patriot_innen und Nationalist_innen zusammensetzen. Wir werden mit ihnen über die Krise in unserem Land sprechen. Wir haben aber auch andere Alternativen.

Haben Sie sich im Zusammenhang mit ihrer diplomatischen Arbeit mit oppositionellen Kreisen getroffen? Mit der Nationalen Koalition, Şepêla Genim und den anderen?

Die Koalition stellt weder in ihrer Operationsweise noch im Sinne ihrer politischen Bewertung eine Einheit dar. In der Koalition gibt es etliche unterschiedliche Gruppen und Personen. Ihre Ansichten unterscheiden sich voneinander. Die Mehrheit hat keine oppositionelle Position. Sie arbeiten für den Vorteil der Türkei, Qatars, Saudi-Arabiens und anderer Staaten. Sie sind kein Teil der Opposition und für uns ist es grundsätzlich nicht möglich, uns mit ihnen zu treffen.

Mit Personen innerhalb der Koalition, die gute Bewertungen abgeben, treffen wir uns. So zum Beispiel mit Ehmed Tima in Europa, als er innerhalb der Führung der Opposition an der Regierung war. Er hat positive Bewertungen abgegeben und erklärt, dass er für Diskussionen und Treffen offen sei.

Wie wird sich die Haltung der Türkei gegenüber der Opposition und der Koalition vor dem Hintergrund der Annäherung an Russland ändern?

In Syrien hatten wir Treffen in vielen verschiedenen Regionen mit unterschiedlichen Personen. Unsere Freund_innen haben mit Gruppen in der Opposition Gespräche geführt. Die haben das Projekt und die Diskussionen akzeptiert. Unsere Tür steht für alle Völker Syriens offen. Wir sind gegen niemanden, wir sind bereit, uns mit allen zu treffen.

Zum Schluss noch, haben Sie Kontakte zu den Staaten des Mittleren Ostens oder den arabischen Staaten? Überlegen Sie dort eine Botschaft zu eröffnen?

Wir führen Arbeiten durch, um unsere Beziehungen zu all unseren Nachbarn, insbesondere zu den arabischen Staaten zu verbessern. Wir haben Beziehungen, insbesondere mit Ägypten, dem Libanon, Jordanien und Tunesien haben wir gemeinsame Arbeiten. In diesen Ländern können wir Vertretungen eröffnen. Es ist notwendig, dass wir mit allen arabischen und mittelöstlichen Staaten Beziehungen aufbauen.