Wo bleibt das wirkliche Interesse der internationalen Medien an der Lage in Bakur?

..., dass endlich einmal „Europa“ hinsieht

Interview mit Heide, Kameramann

Heide ist Kameramann und filmt schon seit vielen Jahren in Krisen- und Kriegsgebieten. Im Januar war er mit einer Delegation, u. a. mit Jan van Aken und Rolf Becker, in Nordkurdistan. Der Kurdistan Report sprach mit ihm über seine Arbeit.

Du warst vor Kurzem mit einer Delegation in Nordkurdistan, wo wart Ihr überall?

Wir waren in Amed (Diyarbakır), in Nisêbîn (Nusaybin), durch Cizîr (Cizre) nach Silopiya (Silopi).

Leben im belagertem CizîrWas war Euer Auftrag?

Normalerweise drehen wir nur im Auftrag von Sendern Filmmaterial. Jetzt waren wir ohne unterwegs. Den Sendern ist es häufig zu riskant, selber Teams mit einem festen Auftrag loszuschicken, aus schlichten Versicherungsgründen, weil es zudem sehr teuer ist und drittens, weil nicht klar ist, was du als Sender danach daraus generieren kannst.

Wir wollten in die kurdischen Gebiete, um die Situation vor Ort zu filmen, wie der türkische Staat gegen die kurdische Bevölkerung vorgeht. Wir hatten in verschiedenen Konstellationen im letzten Jahr schon mehrere Reisen in die Region unternommen und man sieht dort schon eine sehr heftige Zuspitzung innerhalb der letzten Monate. Es hängt ja auch direkt zusammen mit der Front in Syrien, in Rojava und in Nordkurdistan. Das überlappt sich politisch gesehen natürlich. Wir hatten die Chance, mit Jan van Aken (MdB Die Linke) und Rolf Becker (Schauspieler), die aus Termingründen nur einen Tag dort sein konnten, hinzureisen und sie dort zu begleiten. Danach sind wir ohne sie weitergereist.

Konntet Ihr direkten Kontakt mit der Bevölkerung aufnehmen?

Wir hatten zumeist Kontakt mit Mitgliedern der Demokratischen Partei der Völker (HDP), teilweise natürlich auch mit der Bevölkerung. Oft waren es nur kurze Gespräche, einige hatten in dieser Situation Angst, andererseits waren viele unendlich froh, dass endlich einmal »Europa« hinsieht. Ich musste das immer ein wenig abdämpfen und sagen »Wir drehen für ein Programm, und das läuft, wenn wir Pech haben, um zwölf Uhr nachts als eines von 32 Programmen in Deutschland«.

Heißt das, dass Ihr das erste Fernsehteam aus Europa vor Ort wart?

In Amed sicherlich nicht, aber in Silopiya waren wir – laut Kollegen von vor Ort – das erste europäische Fernsehteam. Kollegen heißt, unsere kurdischen Begleiter aus der Region.
Es gab vorher schon Kollegen von Printmedien, die berichtet haben. Wir haben auch einen Kollegen von einem alternativen italienischen Radio getroffen. Und mittlerweile sind dort auch Massenmedien wie Spiegel oder BBC aufgelaufen. Doch als wir nach Silopiya kamen, waren wir die Ersten. Man muss sich das mal für Europa vorstellen, wenn eine Stadt so zerstört werden würde wie hier, dann wäre ein riesiges Presseaufkommen unterwegs.

Wenn ich mich z. B. an den Kosovo-Konflikt entsinne, da waren in diesem Krieg 200–300 Kamerateams in Albanien an der Grenze zum Kosovo unterwegs, aus Japan, aus Brasilien, aus Deutschland, Russland und sonst woher – hier keines. Das muss man sich mal vorstellen. Es waren kurdische Kamerateams da, aber eben keine europäischen. Und die laufen ganz schnell Gefahr, dass sie als Unterstützer von Terrorismus etc. gleich ins Gefängnis marschieren.

Wie sind die Bedingungen für die Medien dort?

Wir hatten mit İMC TV kurz Kontakt aufgenommen. Ein Beispiel für die Bedingungen vor Ort ist das, was dem Kollegen von İMC TV in Mêrdîn (Mardin) passiert ist. Er wollte die Bergung von Verletzten aus einem Haus filmen und war mit der Gruppe – gekennzeichnet mit weißen Fahnen – zusammen, als er angeschossen wurde. Leider haben wir es zeitlich nicht mehr geschafft, ihn im Krankenhaus zu besuchen.

Aber ich möchte noch einmal das Desinteresse der europäischen Medien betonen, das ist wirklich bemerkenswert.

Kannst Du dieses Desinteresse begründen? Ist vielleicht so etwas wie eine Nachrichtensperre verhängt worden?

Nachrichtensperre kann ich das nicht nennen. Wir konnten durch das Gebiet reisen. Wir hatten zwar einige Kontrollen, sind aber noch nicht einmal durchsucht worden. Es wurde zwar der Busfahrer angewiesen, dass er nicht nach Silopiya fahren soll. Er sollte uns auf keinen Fall in Silopiya rauslassen, aber da hat er nur geantwortet »Soll ich die etwa festbinden?“. Aber das war es auch schon. Selbst die Soldaten, die uns angehalten haben, erklärten, dass wir die Zerstörungen ruhig filmen können. Untersagt war, dass wir die staatlichen Kräfte filmen oder Interviews mit den Bewohnern machen. Das fand ich schon auffallend, denn die Aussagen zeugen davon, dass sie wohl stolz auf ihre Zerstörungen waren.

Hattet Ihr sonst keinerlei Stress mit den Staatsorganen?

Wir waren kurzzeitig vom türkischen Geheimdienst MIT festgenommen worden. Aber die haben sich ganz korrekt uns gegenüber verhalten. Das hatte mich dann doch gewundert, umso mehr, dass sich nicht noch mehr Medienvertreter dort hinbegeben haben. Auch weil es durch die Bestrebungen, in die EU zu kommen, zwei Paar Schuhe sind, ob du jetzt als Journalist von vor Ort oder als internationaler Journalist unterwegs bist.

 

Ihr habt viel Filmmaterial sammeln können, was ist damit passiert?

Wir haben viel filmen können, was jetzt wahrscheinlich zu einem größeren Film über mehrere Reisen hinweg zusammengestellt wird. Wir versuchen die Entwicklungen des letzten halben Jahres darzustellen.

Einen längeren Bericht konnten wir momentan nicht unterbringen. Das ist schon sehr auffällig, dass es meistens mit einem Bericht pro Medium getan ist.

Das Credo der deutschen Presse, das muss ich feststellen, geht schon sehr gegen die türkische Politik. Es gibt wenig Zustimmung zu den Zerstörungsakten, die dort stattgefunden haben, bestimmt auch im Hinblick darauf, wohin die Bevölkerung dann wandert, wenn sie weggebombt wird.

Hier wird aber doch zumeist in den Medien geschrieben, dass es ein Krieg zwischen PKK-Kämpfern und den türkischen Sicherheitskräften sei und eben kein Kampf der Staatsorgane gegen die Bevölkerung.

Und trotzdem ist ja jetzt überall bekanntgeworden, dass Zivilisten wie z. B. in Cizîr eingeschlossen wurden. Es lässt sich einfach nicht mehr leugnen, wie die Zivilbevölkerung zusammengebombt wird. Wenn das alles PKK ist, dann ist der Osten der Türkei eben großteils PKK.

Ihr habt schon beobachten können, dass es sich um einen Kampf gegen die Bevölkerung handelt?

Auf jeden Fall. Du gehst durch die Straßen von Silopiya und erkennst, dass fast jedes Haus Schaden durch schwere Geschütze hat. Das sind keine Spuren von Kugeln der Kalaschnikow, sondern es handelt sich richtig um Artilleriegeschütze, die dort eingeschlagen haben. Man kann erkennen, dass dort nicht vereinzelte Kämpfe um eine Barrikade stattgefunden haben, und es waren mit Sicherheit nicht in jedem Haus Kämpfer, das sind eindeutig Racheaktionen.

Wenn in Sûr, dem Altstadtviertel von Amed, mit Panzern die alten Häuserfronten eingefahren werden, dann sind das Racheaktionen. Natürlich brauchen sie für ihre Panzerfahrzeuge auch strategische Plätze, um ihre Artillerie zu installieren. Aber viele Aktionen sind Racheaktionen. Wenn wir uns z. B. ansehen, dass keine Verletzten geborgen werden dürfen, dass Leichen wochenlang in den Straßen liegen und nicht begraben werden können, dass wieder sechzig Menschen ermordet worden sind, ich denke, es ist nur die Spitze eines Eisbergs, was hier an Information rüberkommt. Das ist ja die Maxime der Politik nicht nur an einem Ort, sondern die sich durch die gesamte Region zieht.

Konntest Du den Aufbau einer Selbstverwaltung der Bevölkerung erkennen?

Den Aufbau neuer Lebensstrukturen konnten wir dort gerade nicht beobachten, da die Kampfhandlungen im Vordergrund standen. Da hätten wir wohl mehr Zeit gebraucht, um dies zu erfahren. Ich selbst fand bemerkenswert, dass das Leben fast normal weitergeht, während ein Drittel der Stadt, wie beispielsweise in Silopiya, zerstört ist. Klar, die Bevölkerung muss versorgt werden, muss von irgendetwas leben, gerade dann, wenn fast wochenlang Ausgangssperre herrscht.

Was wir aber auf jeden Fall mitbekommen haben, ist die Solidarität untereinander. Es hat sich ein tiefes Grundvertrauen der Bevölkerung zueinander entwickelt.

Können eigentlich die vielen Solidaritätsaktionen mit der Bevölkerung von Bakur dort wahrgenommen werden?

Es wird sehr genau beobachtet, was woanders passiert. Die Bevölkerung wusste sehr genau, was für Solidaritätsaktionen z. B. in Hamburg laufen, wie viele an welcher Demonstration teilgenommen haben ...

Die internationale Solidarität ist ein ganz wichtiger Punkt. Bei vielen ist deutlich geworden, dass Europa sie alleinlässt oder dass es Europa nur darum geht, sie davon abzuhalten, sich auf den Weg zu machen. Ansonsten ist deutlich geworden, egal welche Massaker hier stattfinden, es interessiert in Europa niemanden. Und dem steht entgegen, was an Solidarität entwickelt werden kann. Das gibt den Menschen natürlich auch Kraft. In den 1990er Jahren sind die ganzen Dörfer zerstört worden, jetzt geht es um die gewachsenen Strukturen in den Städten, wo auch viele dem Druck nicht mehr standhalten konnten und nun vertrieben werden.

Gibt es eine neue Fluchtbewegung aus den Städten?

Ja, denke ich schon. Es ist kalt, die Häuser sind zerstört. Man sieht beispielsweise in Sûr direkt vor den Polizeisperren die LKWs, worin die Bewohner ihre paar Habseligkeiten verstauen und wegfahren. Wohin sie fahren, kann ich nicht sagen, ob zu Verwandten in der Stadt oder ganz raus. Aber man spricht ja mittlerweile von hunderttausend Vertriebenen aus der Region und von denen werden auch viele den Weg nach Europa finden. Dieses Regime in der Türkei wird den Teufel tun, die Kurden aufzuhalten, die sie eh loswerden wollen, weil sie in ihnen einen Störfaktor für ihre Pläne sehen.