Die deutsche Kriegsbeteiligung, die Türkei und die Kurden

Das Auswärtige Amt ist der Ort für Proteste

Sevim Dağdelen, MdB DIE LINKE

Oft soll gerade heftiges Abstreiten einer Sache die Wahrheit verdecken. So ist es der Fall nach der Entscheidung einer Mehrheit der Abgeordneten von Union und SPD im Bundestag für eine Beteiligung am Krieg in Syrien. So verneint die Bundesregierung heftig, dass die deutschen RECCE-Aufklärungstornados, die nach Syrien entsandt werden, auch Bilder von Stellungen der kurdischen Selbstverteidigungsstreitkräfte im Norden Syriens an ihre Partnerin Türkei in der Kriegskoalition liefern werden. Aber ist dieses plötzliche Dementi glaubwürdig? Die Türkei ist NATO-Partnerin, gerade erst hat die EU die finanzielle Unterstützung der Türkei in Höhe von drei Milliarden Euro im Gegenzug zur Abwehr syrischer Flüchtlinge durch Ankara beschlossen und der türkische Militärstützpunkt Incirlik dient 550 Bundeswehrsoldaten als Basis für den Krieg in Syrien. Angesichts dieser engen Verflechtungen scheint es wenig glaubhaft, dass die Bundeswehr ihre Daten derart sortieren wird. Selbst wenn die deutschen Zieldaten des Nordens Syriens nicht an die Türkei gehen, werden sie sehr wohl an die USA, Katar und Saudi-Arabien gehen. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass gerade Katar und Saudi-Arabien diese sensiblen Daten nicht an Erdoğan und Co weitergeben werden, unterstützt man doch gemeinsam islamistische Terrormilizen in Syrien, wie die Ahrar Al-Sham, die auch die Kurden in Syrien bekämpfen.

Plakataktion gegen die bundesweite Bundeswehrwerbung und gegen den durchgepeistchten Beschluss der deutschen Bundesregierung zum Krieg in Syrien. Foto: https://linksunten.indymedia.org/de/node/161785Während der in aller Eile anberaumten Abstimmung im Bundestag war die Bundesregierung nicht in der Lage, ein politisches Ziel ihrer Kriegsbeteiligung in Syrien zu benennen. Eine Unterstützung der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) in Syrien, wie beispielsweise der SPD-Abgeordnete Mützenich sie benannte, kann angesichts des bisherigen Handelns der Bundesregierung als Schutzbehauptung gelten. Hatte die Bundesregierung doch keinen Finger für einen humanitären Korridor nach Kobanê gerührt, geschweige denn ihre NATO-Verbündete Türkei für ihre Angriffe auf die syrischen Kurdinnen und Kurden auch nur kritisiert. In Deutschland intensivierte man sogar die Verfolgung von kurdischen Aktivisten als Morgengabe für eine bessere sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit dem AKP-Regime.

Jetzt aber benannte SPD-Vizekanzler Gabriel ein neues Kriegsziel. Der Vormarsch des Islamischen Staates (IS) soll durch den deutschen Kriegseinsatz gestoppt werden. Wer sich aber die Karte der Angriffe des IS in Syrien anschaut, wird schnell zu dem Schluss kommen, dass dies nichts als eine Notlüge Gabriels ist. Denn überall dort, wo der IS auf die syrischen Großstädte Damaskus, Aleppo, Homs und Hama vorrückt, sind es die syrischen Regierungstruppen zusammen mit der russischen Luftwaffe und Hisbollah-Einheiten, die gegen die barbarischen Terrorkrieger die syrische Bevölkerung verteidigen. Sowohl mit der syrischen Regierung als auch mit Russland hat aber die Bundesregierung jede Zusammenarbeit ausgeschlossen. Auch die Angriffe auf die vom IS eingeschlossene Stadt Deir ez-Zor im Euphrat-Tal kann die Bundeswehr nicht mit zurückschlagen, denn auch diese wird von syrischen Regierungstruppen gehalten.

Eine Unterstützung für die kurdischen Selbstverteidigungskräfte im Norden Syriens wird es auch nicht geben. Alle Versuche, gegen den IS über den Euphrat hinüberzusetzen, um eine Landverbindung zum kurdischen Kanton Afrîn herzustellen, sind bisher am Widerstand der NATO-Partnerin Türkei gescheitert, die ihre schützende Hand über den IS hält, auch wenn sie vorgibt, ihn zu bekämpfen. Über die Türkei läuft der für den IS so wichtige Erdölschmuggel. Die Türkei greift zudem gerade die Kurden an, die sich dem IS in der Region am entschiedensten entgegenstellen, und sorgt ferner, neben dem IS, für eigene islamistische Terrormilizen wie die turkmenischen Milizen oder unter einem Oberkommando mit der Al-Kaida operierende Terrortruppen für Nachschub. Der Krieg des AKP-Regimes gegen die Kurden in Syrien ist Teil seines Krieges gegen widerständige Kurden in der gesamten Region gerade auch innerhalb der Türkei.

Nach vier Jahren blutigem Bürgerkrieg in Syrien ist die Bundesregierung von ihrer Position, Verhandlungen nur unter Ausschluss des syrischen Präsidenten Assad führen zu wollen, abgerückt. Durch das russische Eingreifen herausgefordert, unterschrieb man die Wiener Vereinbarungen, in denen von einer Lösung ohne Assad keine Rede ist. Während man für kommende Runden der Gespräche weiterhin an der Strategie, islamistische Terrormilizen als moderate Rebellen umzuetikettieren, festhält, ist von einer Unterstützung, die syrischen Kurden gegen den Widerstand Erdoğans und Saudi-Arabiens an den Verhandlungstisch zu bringen, nichts vernehmbar. Die deutsche Öffentlichkeit wird bewusst getäuscht, indem man suggeriert, die Waffenlieferungen an den Barzanî-Clan wären gleichbedeutend damit, den syrischen Kurden unter die Arme zu greifen. Im besten Falle können die syrischen Kurden bei ihrem Projekt Rojava nicht auf die Unterstützung Berlins zählen. Gerade die Verhältnisse in der Türkei weisen eben in eine ganz andere Richtung.

Der türkische Staatspräsident Erdoğan verfolgt innenpolitisch eine Strategie der Spannung, um seine Macht und die Macht der AKP zu sichern. Da ist zum einen sein Krieg gegen die Kurden. Ganze Stadtviertel werden abgeriegelt. Scharfschützen aus Erdoğans Sicherheitskräften zielen auch auf kurdische Zivilisten. Die Bevölkerung soll eingeschüchtert und zugleich eine nationalistische Mobilisierung für die AKP vorangetrieben werden. Mit barbarischen Attentaten, die an die Zeit der NATO-Geheimarmeen erinnern, wird nicht nur die Demokratiebewegung in der Türkei ins Visier genommen. Erdoğans AKP erhält zudem Gelegenheit, sich als Law-and-Order-Partei zu inszenieren. Dazu gehört auch der jüngste Mord an dem Präsidenten der Anwaltskammer von Amed (Diyarbakır), Tahir Elçi. Zugleich erreicht die politische Verfolgungswelle Erdoğans gegen Oppositionelle, Gewerkschafter und Journalisten einen neuen Höhepunkt. Wer wie der Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet, Can Dündar, die Waffenlieferungen von Erdoğans Türkei an den IS und andere islamistische Terrormilizen in Syrien aufdeckt, gerät ins Visier der AKP-Islamisten, deren Selbstbild als islamisch-konservative Partei immer mehr zur Karikatur wird. Es soll in der Türkei keine Medien mehr geben, die kritisch über das AKP-Regime berichten. An Can Dündar soll ein Exempel statuiert werden. Diese Entwicklung war lange vorhersehbar, als Erdoğan den Friedensprozess abbrach und die Haftbedingungen für Abdullah Öcalan verschärfte.

Die Bundesregierung hat auf die Zuspitzung der innenpolitischen Situation in der Türkei mit einem regelrechten Schulterschluss mit der AKP reagiert. Ankara ist in der Tradition des osmanisch-kaiserdeutschen Militärbündnisses der beste deutsche Verbündete im Nahen Osten. Gerade der Krieg in Syrien und im Irak, wie auch die Flüchtlingsfrage, hat Erdoğan für die Bundesregierung zu einem noch wichtigeren Partner für die Durchsetzung geopolitischer Pläne in der Region werden lassen. Im Ersten Weltkrieg sollte das deutsch-osmanische Bündnis aufrechterhalten werden, »auch wenn dabei die Armenier zugrunde gehen müssen«. Heute kann man den Eindruck gewinnen, dass das deutsch-türkische Militärbündnis aufrechterhalten wird, auch wenn dabei die Kurden zugrunde gehen müssen. Es ist diese Politik der Bundesregierung, die erst die Verbrechen des Terrorpaten Erdoğan ermöglicht. Es ist diese Politik, die unseren äußersten Widerstand erfordert. Der Ort für Demonstrationen, um dieses Bündnis politisch anzugreifen, ist denn in Berlin nicht in erster Linie die türkische Botschaft, sondern das Auswärtige Amt.