In den Bildern geht es um die Verbundenheit von Natur und Frauen

Eylem – eine Suche

Susanne Roden

Ich kenne Berenice schon viele Jahre und bin ihr in all den Jahren an so ziemlich alle Standorte als Ratsuchende gefolgt. Diesmal hat ein Freund einen Äußerungsbogen zu einem Strafverfahren »Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz« erhalten und während ich um einen Termin bemüht bin, stellt sich heraus, dass es da noch eine Einladung vom LABO (Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten) gab, die er nicht wahrnehmen konnte. Bingo.

Den vereinbarten Gesprächstermin in der Kanzlei müssen wir dann wegen eines Akutfalles noch mal um eine Woche verschieben, aber dann klappt es und ich mache mich auf den Weg nach Pankow. Frühtermine sind meine Sache nicht, aber ich liege gut in der Zeit. Die Hausnummer weist in einen großen Innenhof, eine Anlage ähnlich den Hackeschen Höfen, von der Bauzeit her um 1906 nach Plänen von Kurt Bendt, entstanden als eine Wohn-und Gewerbehofanlage. Über die Geschichte der Hofanlage, die zumindest von Immobilienhändlern als Immanuelhöfe bezeichnet wird, konnte ich nicht viel erfahren. Nur so viel, dass die Gegend bis zur Danziger Straße um 1890 vollständig bebaut wurde und einer der größten geschlossenen Wohnblocks Berlins entstand. Zwischen Prenzlauer Allee und Winsstraße, Marienburger Straße und Immanuelkirchstraße gibt es 30 Höfe.

Ich eile von Eingang zu Eingang, finde ein Schild, das auf Anwälte im zweiten Stock verweist. Ok, das sollte dann wohl stimmen. Beim Blick auf den Fahrstuhl erkenne ich einen geparkten Kinderwagen, also keine technische Hilfestellung. Ich mache mich auf den Weg. Zweiter Stock ist machbar, ich laufe normalerweise zu meiner Wohnung in den vierten Stock, wobei die Stufen da etwas flacher sind.
An der Tür steht alles, wie gewohnt, und so klingele ich. Alsbald werde ich von der Sekretärin hineingebeten, mit der Bitte, noch einen Moment zu warten. Im Eingangsbereich befinden sich bunte Stühle und so lasse ich mich nieder, auch um meine Tasche zu ordnen und die Unterlagen griffbereit zu halten. Ich lasse den Blick schweifen.

Bilder sind aufgehängt und ich stehe auf, um das eine näher zu betrachten.

Klänge des Schweigens sesizligin sesi 70x100 Öl auf LeinwandEylem, »Klänge des Schweigens«, 2013, 70 x 100 cm, Öl auf Leinwand. Ein handgeschriebenes Schild. Eine Frau ist mit Wurzeln oder Ästen fest an einem Baum stehend eingewoben, die Haare wehen nach hinten. Ihre Lippen sind rot und heben sich deutlich von dem den ebenfalls graubraunen Frauenkörper umschlingenden Baum ab.

Ich bin ganz versunken in das Bild, da holt mich Berenice auch schon ab. Ich hole meine Taschen und eile ihr hinterher, vorbei am Zimmer der Sekretärin. Sie bittet mich, in der linken Sitzgruppe Platz zu nehmen, und eilt noch mal aus dem Raum. Die vielen grünen Akten heben sich deutlich von den weißen Regalteilen ab. Mein Blick fällt auf die Beschriftung der Ordner im linken Regal: Kurdistan, Türkei. Ja, genau.

Als wir nach kurzer Besprechung das Zimmer wieder verlassen und zur Sekretärin am Eingang gehen, sehe ich, dass der ganze lange Gang mit Bildern vollgehängt ist. Ich frage, ob ich mir die noch in Ruhe ansehen darf, aber das können sie nicht so einfach ermöglichen, da sämtliche Anwaltszimmer offen sind und auch keiner die Zeit hat, mich zu begleiten. Dann habe ich kurz Glück, dass eine Sekretärin doch einen Botengang ans Ende unternehmen muss, und so laufe ich mit, versuche einen Eindruck zu bekommen und kann doch noch einen kurzen Blick auf weitere Bilder erhaschen.
Die türkischsprachigen Titel kann ich nicht notieren, aber in jedem Fall sind fast alle Bilder aus den Jahren 2012 und 2013. Ein Bild hat den Titel »Morgendämmerung« und ist in sehr dunklen Grüntönen gehalten. Es sind Lagerzelte im Grünen in der Morgendämmerung, vielleicht Flüchtlingszelte. Es liegen Nebelschwaden in der Luft, eine feuchte und bedrückende Atmosphäre. Das Bild hat es mir angetan.

Eine etwas farbenfrohere Bildkomposition finde ich mit dem Titel »Calypso«. Ich denke sofort an die weibliche Gestalt aus der griechischen Mythologie, eine Nymphe, denn die weibliche Figur ist in ein Meer von Kreisen oder Blasen eingebettet, so als sprudelten sie unaufhörlich.

Ich habe dann nochmal die anwesenden Frauen in den vorderen Büros gefragt, ob es noch eine Information über die Künstlerin gäbe. Man konnte sich erinnern, dass es mal ein Blatt gab, aber es sei schon so lange her. Die Ausstellung war für ein Jahr und im November 2014 sollte die Künstlerin kommen und die Bilder abholen. Sie lebt in jedem Fall in Berlin.

Und somit begann dann die Suche

Es gibt viele Künstlerinnen mit dem Vornamen Eylem. Niederlande, Österreich, USA. Es gibt Psychologinnen, Wissenschaftlerinnen, nur die Malerin in Berlin ist nicht zu finden.

Das passt zu meinen Erlebnissen aus dem Kurdischen Institut für Wissenschaft und Forschung e. V., wo wir eine Ausstellung mit kurdischen Künstlern und Künstlerinnen aus der Stadt organisiert hatten.Calypso 70x100 Öl auf Leinwand

Sie waren kaum zu finden oder zu greifen. Die Männer hatten teilweise Ausstellungen und die Frauen passten zu Hause auf die Kinder auf und malten selbst nach akademischer Ausbildung nur noch privat als Hobby weiter. Sie wollten auch teilweise nicht einmal erwähnt werden oder sprangen kurz vor den Gesprächsterminen ab.

Zunächst hatte ich ja noch die Hoffnung, dass ich die Vernissage von 2013 in der Kanzlei im Archiv der Nachrichten finden würde. Dem war aber nicht so. Ich erfuhr dadurch aber, dass es eine Zusammenlegung von zwei Kanzleien im Januar 2014 gab, und hoffte, die Eröffnungsveranstaltung war im anderen Kanzleiteil. Auch dem war nicht so. Außerdem konnten sich ja einige Sekretärinnen noch erinnern, dass vor Ort Informationen als Handzettel gewesen waren. Da auch der Gründer und Generalsekretär des »European Center for Constitutional and Human Rights« dort sein Büro hat, passte die Thematik der ausgestellten Bilder auch sehr gut.

Die Unterdrückung und Ungleichstellung von Frauen sowie die vielen Menschenrechtsverletzungen an kurdischen Frauen.

Eylem – gefunden und Interview

Wie es im Leben so spielt, und ganz besonders in Berlin, hat es am Ende eine glückliche Fügung gegeben. Einer der Anwälte aus der Kanzlei hatte den Kontakt zur Künstlerin und schrieb mir, dass sie mich anrufen würde. Dies geschah dann auch und wir verabredeten uns im Simitdchi auf eine Tasse heißen Tee.

Eylem hatte ihre kleine Mappe mit Fotografien aller Werke der Ausstellung mit dabei und sie nahm sich sehr viel Zeit, mir die Bilder zu zeigen und auch zu kommentieren. Nicht alle, denn sie legt Wert darauf, dass sich der Betrachter allein Gedanken macht, seine Phantasie spielen lässt, selbst nachdenkt, nach dem Sinn, über den Sinn des Lebens.

Wir sprechen über den Kreislauf der Natur, Freude und Leid, ja, der endlose Schmerz, der dem Volk der Kurden zugefügt wird. Wir sprechen über die aktuellen Geschehnisse um die Vertreibung der Êzîdi im Gebiet um Şengal, über Kobanê.

Ich frage Eylem Karadoğan, wie sie zum Malen gekommen ist, woher das Interesse kam. Sie lacht. »Ja, schon seit meiner Kindheit wollte ich später einmal eine große Künstlerin sein. Schon als Kind habe ich gemalt und gezeichnet.«

Ich frage, ob es denn andere Künstler in der Familie gab oder gibt. »Nein«, sagt sie, »es gab niemanden in dem Dorf in Akçadağ/Malatya [kurd.: Arxa/Meletî], wo ich aufgewachsen bin, nur meine Mutter hat ein wenig gezeichnet. Das gab mir vielleicht den Impuls.«

Sie hatte als Kind einen rechten Dickkopf und es war oft nicht leicht für sie. Egal, ob weinen, reden, betteln, ruhig bleiben, es brachte alles nichts, es veränderte sich für sie als Mädchen und später als junge Frau nichts an der Lage und so entdeckte sie die Malerei als ein Mittel, einen Weg für sich, um sich zu erklären und ihrem Protest Ausdruck zu verleihen.

Dann gab es Veränderungen in ihrem Leben. Heirat, eine neue Welt, ein neues Land, eine neue Sprache. Anfang 1993 kam sie nach Deutschland. Das Malen hatte sie zu dem Zeitpunkt verdrängt.

Aber ihre Mutter hatte die Mappe mit ihren Zeichnungen immer für sie aufgehoben und eines Tages war es dann soweit. Die Mutter übergab ihr die gehütete Mappe und ermunterte sie, doch weiterzumachen. Und das tat sie dann auch.

Ihre Bilder rufen sehr unterschiedliche Reaktionen bei den Menschen hervor. Manche zeigen Unverständnis oder wie eine junge Anwältin meinte, die Bilder sind zu traurig, sie solle doch etwas Schönes malen, einfach schöne Blumen oder so.Sprache des Denkens düsüncenin dili80x70 Öl auf Leinwand

Nun, in den Bildern von Eylem geht es um die Verbundenheit von Natur und Frauen. Sie hat schon in jungen Jahren erfahren, dass sowohl die Natur als auch die Frauen durch Männer getötet oder verbrannt werden. Immer wieder sterben Frauen durch die Gewalt von Männern, immer wieder wird Natur durch Männer zerstört, wie beim Niederbrennen ganzer Wälder aus angeblichen Sicherheitsgründen.

»Ich möchte auf einer Brücke stehen«, sagt Eylem, »einer Brücke, die die Menschen verbindet. Wenn einer arm ist und Hunger leidet und ein anderer im Überfluss lebt, dann sollen sie voneinander erfahren, Verständnis füreinander haben und sich helfen. Ich muss nicht selbst geschlagen werden, aber wenn ich sehe, dass andere Menschen geschlagen werden, dann tut mir das weh.«

Neben der Malerei und Vorbereitung für eine Ausstellung im Herbst arbeitet Eylem, die selbst eine Tochter hat und Kinder sehr liebt, auch als Sozialassistentin und Malerin in verschiedenen Projekten mit Pädagogen und Pädagoginnen zusammen. Gerade bereitet sie einen neuen Kurs bei Yekmal e. V. vor: Basteln und Malen von kleinen Kunstwerken und Zeichnungen für Kinder. Dieser kostenlose Kurs wird ab Mai jeden Dienstag von 15:30 bis 17:30 Uhr für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren angeboten werden.

Auf meine Frage, was sie sich für sich als Künstlerin in der Zukunft wünscht, lacht Eylem wieder ihr herrliches Lachen und antwortet: »Eine Ausstellung meiner Werke in Amed!«