Ivana Hoffmann – eine Frau, die alle Grenzen überwand, eine Revolutionärin und Internationalistin

»Sie war verliebt in Kurdistan und sie war verliebt in den Kampf«

Anja Flach

Ich kann die schönsten Farben nicht mehr auseinander halten, den Wind der Stadt spüre ich nicht mehr auf meiner Haut, das Singen der Vögel hört sich stärker nach dem Ruf der Freiheit an. (Ivana)

ivana avasinAm 8. März 2015, dem internationalen Frauenkampftag, erreichte uns die Nachricht, dass Ivana Hoffmann, ihr Kampfname war Avaşîn (Blaues Wasser), in der Nacht zuvor in Rojava im Kanton Cizîrê bei der Kleinstadt Til Temir gefallen ist.

Im Oktober 2011, nach einem Besuch in den Qandil-Bergen in Südkurdistan, lud mich Young Struggle nach Duisburg ein. Der kleine AGIF-Verein in Meiderich war proppenvoll mit Jugendlichen unterschiedlichster Herkunft. Zwei sehr junge Frauen fielen mir besonders auf, ihre Augen leuchteten, als sie die Bilder der kämpfenden YJA-Star-Frauen sahen. Nach der Veranstaltung fragten sie mir Löcher in den Bauch. Eine von ihnen war Ivana, die ich in der Folge immer mal wieder auf Demonstrationen und Festivals sah. Damals war Ivana gerade 16 Jahre alt geworden. Schon damals war klar, Ivana brennt für die Freiheit ...

Ivana Hoffmann ist am 1. September 1995 in Emmerich geboren. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater stammt aus Togo. Ivana hatte insgesamt 12 Geschwister und Halbgeschwister. Schon mit 14 Jahren war sie politisch aktiv und kam 2011 das erste Mal in den AGIF-Verein in Duisburg-Meiderich. Dort lernte sie die Gruppe »Young Struggle« kennen. Sie beteiligte sich u. a. an Aktionen für die Freiheit von politischen Gefangenen und nahm 2012 an einem Hungerstreik für die Gefangenen der PKK teil. Sie organisierte sich in der Jugend der Marxistischen Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) der Türkei/Kurdistan, der KGÖ (Kommunistische Jugendorganisation). Ivana bereitete Aktionen, Demonstrationen, Jugendcamps und politische Vorträge mit vor. Im Frühjahr 2014 ging Ivana nach Rojava. In einer Erklärung der MLKP heißt es: »Sie war eine Sucherin der Freiheit. Unsere Genossin Avaşin glaubte daran, dass die Revolution in Rojava ein Beispiel für die Region werden könnte und deshalb unbedingt leben müsse. Die Verteidigung der Revolution war eine Verteidigung für die Zukunft.«

Ivana schrieb in ihrem letzten Brief, bevor sie ging: »Nichts hält mich mehr hier. Ich kann nicht tatenlos zusehen während meine Schwestern, Brüder, Freunde, Mütter, Väter, Genossen um die Freiheit, um die Unabhängigkeit vom Kapitalismus kämpfen. Ich werde den Internationalismus der Partei vertreten und ein Teil der organisierten bewaffneten Bewegung sein. Wenn ich zurückkomme, werde ich meine Genossen, mein Umfeld mit dem Kampfgeist und der Willenskraft anstecken, ich werde wie die schönsten Lieder sein und jeden in meinen Bann ziehen. Ich werde eine Guerilla voller Nächstenliebe und Hoffnung.«

Ivana hat ihren Platz in Rojava bei der Verteidigung der Menschlichkeit eingenommen, wollte aber auch zurückkommen, um die Menschen hier für die Revolution zu begeistern. Darin erinnert sie an Andrea Wolf, Ronahî, die 1998 in den Bergen von Nordkurdistan vom türkischen Militär ermordet wurde. Auch ihr Ziel war vor allem zurückzukommen und hier eine neue revolutionäre Bewegung mitzuinitiieren. Damals waren in den Bergen Kurdistans nur wenige KämpferInnen ohne kurdische Wurzeln. Nun sind es viele geworden, die einen Beitrag an verschiedenen Orten des Kampfes u. a. gegen den IS leisten. Sie kommen aus den USA, aus Großbritannien, aus der BRD, Kanada, aus Israel, der Türkei und sogar aus Australien, sie bilden eigene internationale Bataillone in Rojava. Diese Anziehungskraft hat vor allem der Kampf um Kobanê bewirkt.

Einige der InternationalistInnen, die zurzeit in Rojava kämpfen, haben uns ihre Gedanken zum Tod von Ivana mitgeteilt. So ein US-Amerikaner mit dem Kampfnamen Berxwedan Zagros. Er berichtet, er habe oft mit Avaşîn diskutiert. Sie hätten sehr verschiedene Ausgangspunkte gehabt, aber: »Wir konnten unsere gegenseitigen Haltungen akzeptieren und haben nicht versucht, den jeweils anderen zu überzeugen. Es ging uns wirklich darum zu diskutieren, um den Hintergrund des jeweils anderen besser zu verstehen.«

Ein weiterer Freund von Ivana, Thälmann Demircioğlu, kennt sie seit vielen Jahren aus Duisburg. Ivana war ein halbes Jahr vor ihm nach Rojava gekommen. Sie war vor ihm politisch aktiv und habe ihn immer unterstützt und geholfen, ihm politische Zusammenhänge erklärt, daraus entwickelte sich im Laufe der Jahre eine sehr starke genossenschaftliche Beziehung: »Man hat ihr, wie auch allen FreundInnen hier, viel Lebensfreude angesehen, was man halt in Deutschland nicht so kennt. In Europa ist das kapitalistische System, Schule, Arbeit, die Stadt, bei vielen Jugendlichen ist da eine Bedrücktheit zu spüren, aber hier in Rojava sind wir freie Menschen, hier gibt es wirkliche Freiheit. Man merkt das den Leuten wirklich an.«

Thälmann erklärt, dass man in Rojava viel Zeit zum Diskutieren gefunden habe, über den Demokratischen Konföderalismus, die PKK, die YPG, die Befreiung und die Revolution. Die MLKP habe eine eigene Einheit unter dem Kommando der YPJ/YPG, aber man wolle auch nach Europa zurückkehren und das Gelernte zurücktragen. Ivana beschreibt er folgendermaßen: »Avaşîn hatte eine große Ausstrahlung, viel Charisma, z. B. in der Türkei beim Jugendcamp, sie sprach die Sprache nicht, aber sofort war sie umringt von dutzenden Jugendlichen, die mit ihr diskutieren wollten. Überall, wo sie hinkam, hat sie sofort viele Freundschaften geschlossen, richtige Freundschaften, keine oberflächlichen Bekanntschaften, sie hat richtige Kontakte geknüpft, die Menschen gefragt, wer sie sind, wo sie herkommen. Sie kannte alle und hatte von allen die Namen im Kopf, auch hier in Rojava. Auch wenn wir durch Duisburg gelaufen sind, hat sie viele begrüßt. Sie hat es geliebt zu singen, immer hat sie gesungen, sie hat selber Lieder geschrieben, hat gerappt. Sie hat immer gelacht, andere unterhalten, auch mal Quatsch gemacht. Wenn es jemandem schlecht ging, hat sie ihn aufgemuntert, das konnte sie auch. Sie konnte auch richtig wütend werden, vor allem über Ungerechtigkeit, darüber konnte sie sich sehr aufregen. Sie war immer vorne mit dabei, z. B. bei Kämpfen gegen Nazis, da musste man sie regelrecht zurückhalten. Sie hat mich immer beschützt. Sie hat immer dafür gesorgt, dass mir nichts passiert, sie hätte sich sogar in eine Schusslinie geworfen. Sie hätte ihr Leben gegeben, um andere zu beschützen.«

Dîlan von der MLKP berichtet, dass Ivana zunächst viele Schwierigkeiten mit der Sprache hatte, da sie weder Türkisch noch Kurdisch konnte. Sie habe aber sehr schnell Kurdisch gelernt, womit sie schon in Deutschland begonnen hatte: »Für sie war die Sprache kein Problem, mal versuchte sie es mit der einen, dann mit der anderen oder alles durcheinander. Sie konnte schnell Kontakt knüpfen, war immer gern gesehen. Sie hat viel gefragt, schnell gelernt. Was man ihr ein Mal zeigte, konnte sie beim zweiten Mal bereits selber. Sie wollte nach Şengal, wollte nach Kobanê, sie wollte kämpfen, an die Front. Zeitweilig waren wir dort auch gemeinsam. Sie war tief beeindruckt vom Bewusstsein und Kampf der kurdischen Frauen. Sie zeigte sich interessiert am Konzept der Demokratischen Autonomie, der Frauenorganisierung, aber für uns ist das noch sehr neu.«

Haydar, ebenfalls von der MLKP, verbrachte die letzten zehn Tage vor ihrem Tod mit ihr. Er berichtet, dass sie als Biksici1 nicht ständig an der vordersten Front war, bei Gefechten war sie jedoch ganz vorne, teilweise mit nur wenigen hundert Metern Abstand zum IS. Sie habe viel Zeit mit den Freundinnen der YPJ verbracht, interessierte sich sehr für den Kampf der Frauen, sowohl für den militärischen Aspekt (dort gab es viele kampferfahrene Frauen) als auch für den frauenpolitisch-ideologischen Kampf. Sie diskutierte viel, wollte lernen. Er berichtet von dem Gefecht, in dem Ivana gefallen ist: »Die Stellung, die Stellung der Biksi war an vorderster Front ... Als der Angriff begann, habe ich einige, die geschlafen haben, geweckt. Ivana kam aus Richtung der Frauen-Manga. Da habe ich sie dann zuletzt gesehen. Sie lief zur Stellung hinüber, in der die Biksi war. Ivanas Biksi nahm dann die Straße unter Beschuss. Das gab uns die Gelegenheit, den Abschnitt, an dem der IS eingesickert war, zu halten. Ich habe sie dort dann zuletzt gesehen. Ihre Stellung war ganz vorn, wir waren etwa 15–20 Meter weiter hinten. Sie hat gekämpft, bis der Lauf der Biksi heiß wurde. Normalerweise gibt es einen Ersatz. Aber die Bedingungen des Krieges ... Es gab sie (eben) nicht. Neben ihr ist der Genosse Tekoşer gefallen. Sie kämpfte mit seiner Waffe weiter, bis sie auch getroffen wurde.«

Die MLKP hat nicht gezögert, die Revolution in Rojava zu verteidigen. In einem Interview heißt es: »Wir rufen die revolutionären Linken in Europa dazu auf, hierher zu kommen und gemeinsam ein neues Rojava aufzubauen. Wir hatten bereits dazu aufgerufen, gemeinsam internationale Brigaden zu gründen. Im Kanton Cizîrê haben wir damit sogar schon begonnen. Es sind kommunistische, sozialistische, revolutionäre Genossen aus Italien, Spanien und sogar aus Deutschland gekommen. Das sollte etwas Beständiges werden. So wie im revolutionären Spanien internationale Brigaden gegen den Franco-Faschismus gegründet wurden, können wir heute in Rojava internationale Brigaden für die Zukunft einer Gesellschaft gründen. Wir können uns direkt am Aufbau und an der Verteidigung dieser Perspektive beteiligen.«2

Die Bewegung in Rojava und Bakûr (kurd. Westen u. Norden, für West- u. Nordkurdistan) misst den InternationalistInnen großen Wert bei. Zu Ivanas Beerdigung in Duisburg kamen sogar zwei ihrer bekanntesten VertreterInnen. Die Kovorsitzende der HDP, Figen Yüksekdağ, und der Kovorsitzende der PYD, Salih Muslim. Beide betonten die Bedeutung des internationalistischen Kampfes in Rojava. Etwa 6 000 Menschen waren zu Ivanas Beisetzung und Gedenkfeier gekommen, darunter aber sehr wenige, nennen wir sie mal, Biodeutsche. Warum?

»Die Deutschen haben noch kein Verhältnis dazu entwickelt, was es heißt, das eigene Leben im Kampf einzusetzen«, meint Jiyan, eine Internationalistin, die sich gerade in Rojava aufhält, »das Konzept Märtyrer schreckt sie eher ab.«

Vielleicht fehlt uns die Hoffnung, dass das kapitalistische System überwunden werden kann, vielleicht haben wir nicht so viel Mut wie Ivana? Hat das Leben im Kapitalismus uns eingelullt?

Ivana Hoffmann ist auch für uns gefallen. Die Schande, untätig zu bleiben, während unsere Länder und ihre Verbündeten ein Land nach dem anderen mit Verwüstung und Vernichtung überziehen, wird durch sie und andere, die dort hingegangen sind, ein wenig kleiner. Menschen wie sie geben Hoffnung auf ein anderes Leben, jenseits von Ausbeutung und Zerstörung.

Ivana kämpfte als Deutsche mit togoischen Wurzeln, politisiert in der türkischen Linken im westkurdischen Rojava in einer Suryoye-Gegend. Für Ivana spielten Herkunft und nationale Identität keine Rolle. »Wir werden Ivanas Wünsche, Hoffnungen und Träume erfüllen«, schreiben ihre Genossinnen aus Duisburg. Wir können nur hoffen und uns dafür einsetzen, dass viele und immer mehr so denken.
Unsere Gedanken sind vor allem auch bei Ivanas Mutter, die sofort nach Kurdistan gefahren ist, als sie vom Tod ihrer geliebten Tochter erfahren hatte. Sie zeigte sich beeindruckt von der Welle der Solidarität, die sie bei der Überführung ihrer Tochter erfahren hatte. »Ich bin stolz auf meine Tochter und das, was sie getan hat. Sie ist als Freiheitskämpferin gestorben«, erklärte sie.
Sie hat allen Grund, stolz zu sein, und wir senden ihr Liebe und Kraft.

In Duisburg hat sich der »Freundeskreis Ivana Hoffmann« gegründet. Im September, um ihren Geburtstag herum, soll ein Festival stattfinden. Auch ein Buchprojekt ist geplant.


Fußnoten:
Zitat im Titel:  http://www.vice.com/de/read/warum-eine-deutsche-aus-duisburg-in-den-krieg-gegen-den-islamischen-staat-zog-987
1. So werden diejenigen bezeichnet, die eine BKS, ein schweres Maschinengewehr russischer Bauart tragen.
2. http://lowerclassmag.com/2015/02/rojava-ist-ein-kosmopolitischer-ort/