Rückschritte bei den Frauenrechten in Südkurdistan

Das Leben der Frau gegen die antidemokratische Gesetzeslage

Necîbe Qeredaxî, Journalistin

Seit 1991 wird Südkurdistan von einer autonomen Regionalregierung regiert. In dieser Zeit blieben bedeutende Schritte zur Beendigung von Gewalt leider aus. Vor allem die Gewalt gegen Frauen erreicht in diesem Teil Kurdistans dramatische Ausmaße. Weder standen noch stehen die Probleme der Frau und der übrigen Gesellschaft auf der Agenda der führenden politischen Kräfte. Ebenso wenig befasst sich der Großteil der Opposition mit dieser Thematik. Dem Bericht einer Frauenorganisation zufolge wurden allein im Jahre 2013 mehr als 5 000 Fälle von Gewalt gegen Frauen vermerkt. Mindestens 302 Frauen sollen sich verbrannt haben. Allein in den Anfangsmonaten des Jahres 2014 wurden 20 Frauen ermordet, 4 sogar am selben Tag. Die Täter genießen weiterhin Straffreiheit und laufen frei herum.
Die Zahl der Fälle von Mord, Vergewaltigung und Selbstverbrennung ist drastisch gestiegen. Bei genauerer Betrachtung der Einzelfälle wird ersichtlicher, wie grausam es um die Lage der Frau in Südkurdistan bestellt ist. Dûnya wurde im Alter von gerade einmal fünfzehn Jahren grausam ermordet. Eine sechzehnjährige Kurdin, vor dem Krieg aus Rojava geflohen, fand ihre Peiniger in Gestalt von sechs Männern, die das junge Mädchen brutal vergewaltigten. In der Folge heftiger Proteste sah sich der Mörder von Dûnya gezwungen, sich der Polizei zu stellen. Ebenfalls energischen Protesten war die Verurteilung von fünf der sechs Vergewaltiger geschuldet. Trotz der schwierigen Flucht aus Rojava bleiben viele Flüchtlinge, vor allem Frauen, nicht von Gewalt verschont. Infolge von Gewalt durch ihren Ehemann wurde Jiyan Mihyedîn Şêxmus im Flüchtlingscamp Domîz in Duhok ermordet.

Bei der Ausgrenzung der Frau aus den gesellschaftlichen Entscheidungszentren und der Politik handelt es sich um eine weitere Form der Gewalt. Im Kabinett der 8. Regierung des Kurdistan Regional Government (KRG) ist nur eine einzige Frau vertreten. Die Quote der politischen Beteiligung liegt bei gerade mal 2 %, die Frauenquote bei den WahlkandidatInnen bei 25 %. Ohne diese Quote würden die Frauen noch viel weniger Stimmen erzielen. Es fehlt ein geschlechtsbezogenes Bewusstsein in Südkurdistan.

Eine weitere Art der Gewalt ist die Beschneidung von Frauen. Laut Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte wird die Genitalverstümmelung in großem Maße weiter vorangetrieben. Obwohl nach südkurdischer Gesetzgebung strafbar, werden weder von der Regierung noch vom Parlament irgendwelche Maßnahmen gegen die Genitalverstümmelung ergriffen.
In Kerkuk ist die Zahl der Scheidungen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Mindestens 7 500 Anträge auf Scheidung wurden eingereicht, 2 500 Fälle vor Gericht behandelt und abgeschlossen.
In Südkurdistan wurde vergangenes Jahr über die sogenannte »Reisehochzeit« diskutiert, auch wenn das Parlament diesen Punkt nicht gesondert behandelt hat.
Diese Art von Heirat wird von den Männern aus den Golfstaaten betrieben. Ihr Ursprung liegt bis zu 1300 Jahre zurück; sie wurde ursprünglich von den Händlern zwischen Mekka und Damaskus betrieben. Unter dem Namen »Reisehochzeit« bekannt, hat sie die eigentliche Bedeutung, eine Familie zu gründen, ohne Verantwortung für Frau und Kinder zu tragen. Einzig und allein die sexuelle Beziehung spielt dabei eine Rolle.

Dieses Thema hat bei einigen zur RJAK (Organisation der Frauen für Freiheit in Kurdistan) gehörenden Frauenorganisationen großen Unmut hervorgerufen. Sie definieren diese Art von Heirat als größte Respektlosigkeit gegenüber Frauen. Das hat Diskussionen über die Institution Familie die Tür geöffnet, ihr Umfang ist jedoch noch als unzureichend zu bewerten.Aufklärungsarbeit der RJAK auf den Straßen von Hewlêr | Foto: Rojnews

Zwar verabschiedete das Parlament im Juni 2011 ein Gesetz, das häusliche Gewalt verbietet. Allerdings findet es bei der derzeitigen Regierung keinerlei Beachtung. Dennoch wird es von FrauenaktivistInnen als ein kleiner Fortschritt bewertet. Der Zusammenschluss Grupa Jiyan (Gruppe Leben), zu der auch die freiheitsorientierte RJAK gehört, hielt im Januar in der Nacht vom 24. auf den 25. in Erinnerung an die Frauen, die Opfer von Gewalt geworden waren, Wache. Dabei wurde nochmals an die fehlende Umsetzung des Gesetzes gegen häusliche Gewalt erinnert. Verschiedene Frauenorganisationen fanden sich vor dem Gouverneurssitz und den zuständigen Ministerien in Hewlêr (Arbil) ein. Der Forderung nach Gesprächen wurde jedoch nicht stattgegeben.
Besonders im vergangenen Jahr war es in Hewlêr seitens der zur Regierungspartei PDK (Demokratische Partei Kurdistans) gehörenden Asayîş-Kräfte zu starken Repressionen gegenüber der Frauenfreiheitsbewegung gekommen. In deren Folge wurden zahlreiche Frauen festgenommen, einige Fraueninstitutionen sogar geschlossen.

Auch das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen in irakischen Gefängnissen ist weitaus höher als im internationalen Durchschnitt. Laut Informationen der Beobachtungsstelle für Menschenrechte befinden sich über 4 200 Frauen zusammen mit ihren Kindern in den irakischen Gefängnissen.

Im Irak wurde trotz der schon bestehenden antidemokratischen und patriarchalen Gesetzeslage das Caferi-Gesetz [Dschafariya: schiit. islam. Rechtsschule] durchgesetzt. Es gilt hier anzumerken, dass dessen Inhalt auch ohne offizielle gesetzliche Grundlage in der Gesellschaft Anwendung findet. Paragraph 41 der irakischen Verfassung besagt: »Die irakischen StaatsbürgerInnen sind frei, auf Grundlage der zivilisatorischen Prinzipien, entsprechend ihrer eigenen Religion, Konfession oder ihres Glaubens Gesetze zu verabschieden.« Dieser Artikel wurde von schiitischen Kräften im Irak in Anwendung gebracht. Sie haben das Caferi-Gesetz erarbeitet und auch damit verbundene Gesetzesvorschläge im Parlament vorgelegt. Der Caferi-Gesetzentwurf wurde vom sogenannten Justizminister unterbreitet und fand sogar unter einigen schiitischen Frauen Unterstützung. Das Gesetz regelt Heirat, Scheidung, Erbschaft und Sorgerecht für die Kinder nach der Scheidung neu. Das Mindestalter von Frauen für die Heirat wird auf neun Jahre gesenkt, das von Männern auf fünfzehn Jahre festgelegt. Die ursprüngliche Gesetzeslage sah für beide Geschlechter ein Mindestalter von achtzehn Jahren vor.
Das größte Opfer der Angriffe des sogenannten Islamischen Staates sind die Frauen. Tausende Kurdinnen, insbesondere Êzîdinnen, wurden Opfer von Entführung, Vergewaltigung, Versklavung und anderer Gewalt durch den IS. Aber auch zahlreiche andersgläubige Frauen wurden Opfer derselben Angriffe. Daher steht die Selbstverteidigung von Frauen an oberster Stelle ihrer Tagesordnung.
Infolge der IS-Angriffe verlor die Peschmerga-Kämpferin Rengîn Yusif ihr Leben. Die kurdische Frauenfreiheitsbewegung im Irak unter der Avantgarde der RJAK erklärte Arîn Mîrkan, Deniz Firat, Rengîn Yusif und hunderte weitere widerstandleistende Frauen im Kampf gegen den IS zu Schutzschilden der Frauen und des Volkes. Die Frauendachorganisation KJK (Gemeinschaft der Frauen Kurdistans) verlautbarte, solange es Frauen wie Arîn und Rengîn gebe, würden Frauen niemals unterliegen.

Im vergangenen Jahr waren es besonders die Frauen, welche die Stärkung der Selbstverteidigung forderten. Der Widerstand der Frauenguerilla der YJA-Star und der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) hat in der Gesellschaft einen starken Eindruck hinterlassen. Nicht nur unter den Kurdinnen spiegelt sich dieser Einfluss wider, auch unter den Frauen anderer Bevölkerungsgruppen ist der Wille zur Aufstellung autonomer Frauenverteidigungsstrukturen und die aktive Partizipation daran in der jetzigen Zeit weit verbreitet.

Die demokratische Transformation innerhalb der Gesellschaft wird durch verschiedene Faktoren bestimmt. Durch Einflüsse und Veränderungen in Wirtschaft, Politik, Gesetzgebung und Gesellschaft können wesentliche Umwälzungen erzeugt und forciert werden. Auch Änderungen der Gesetzeslage können den Weg für eine positive Transformation freimachen. Allerdings nur, wenn sie in der Praxis auch Anwendung finden. Dabei gilt es ebenso, Gesetze offenzulegen, die ein Hindernis für die Demokratisierung und die Lösung der gesellschaftlichen Probleme darstellen. In der irakischen Verfassung und Rechtsprechung gibt es zahlreiche Paragraphen, die antidemokratisch und patriarchal geprägt sind und somit der Gewalt gegen Frauen den Weg ebnen. Auf denselben Gesetzen beruht die Nichteinhaltung von Menschenrechten und allgemein verankerten universellen Frauenrechten.

Eine sogenannte Klausel legt gesetzlich fest, dass ein Mann, der eine zweite Frau heiraten will, zunächst die Zustimmung seiner ersten Frau einzuholen hat. Dabei wird die Frau für nichtig erklärt. Denn dadurch wird der Druck auf sie nur erhöht. Für die Zustimmung zur zweiten Heirat wird den Frauen mit Scheidung gedroht. Es wird ihnen gedroht, die alltäglichen Grundbedürfnisse nicht mehr erfüllt zu bekommen. Ebenso werden Kinder zur Zielscheibe gemacht, auch sie würden dann nicht mehr versorgt werden. Frauen werden oft so lange verprügelt, bis sie einer zweiten Frau zustimmen.
In der Erbschaftsgesetzgebung herrscht offensichtliche Ungleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Demnach steht der Tochter nur die Hälfte dessen zu, was der Sohn bekommen würde. Im Falle des Todes des Ehepartners steht der Frau nur ein Viertel des Besitzes des Mannes zu, während der Mann über die Hälfte des Eigentums seiner Frau verfügen darf. Die Realität wird zudem durch das Bild getrübt, dass die Frau, wenn sie auf ihrem Recht beharrt und das Erbe ihres Mannes einfordert, oftmals zum wiederholten Opfer von Gewalt wird.

Trennung oder Scheidung

Laut irakischem Gesetz gibt es zwei Arten von Trennung bzw. Scheidung. Wenn eineR der EhepartnerInnen bei Gericht die Scheidung einreicht, ist eine Gleichbehandlung von Mann und Frau in Anbetracht der Gesetzeslage undenkbar. Die zweite Art ist die Trennung mit beidseitigem Einverständnis.

Der Frau werden nicht nur bei der Heirat, sondern auch bei der Scheidung zahlreiche Steine in den Weg gelegt. So kann sie sich zwar noch ohne weitere gesetzliche Hindernisse von ihrem Verlobten trennen. Sollte es jedoch zur Bildung einer Familie gekommen sein, werden der Frau sämtliche gesetzlichen Barrieren aufgebaut. Folglich kann festgestellt werden, dass sowohl Heirat als auch Trennung dem Monopol des Mannes unterliegen.

Entsprechend den Absätzen 1 und 2 des Paragraphen 19 des Familiengesetzes muss eine Frau ein Jahr lang warten, um sich von ihrem Mann scheiden lassen zu können, sollte er inhaftiert sein oder als vermisst gelten, sogar ganze vier Jahre. Weiter müssen den Behörden die Hintergründe des Verschwindens des Mannes dargelegt werden.

Die Rolle der Religion bei der Heirat

Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist auch bei der Möglichkeit der Heirat von NichtmuslimInnen festzustellen. So ist es zwar einem Muslim möglich, eine andersgläubige Frau wie eine Christin oder Jüdin zu heiraten, doch wird einer Muslima nicht gewährt, einen Nichtmuslim zu heiraten.

Ungleichheit im ehelichen Haus

Laut Paragraph 23 darf der Mann Kinder aus einer früheren Ehe bei seiner Ehefrau belassen, umgekehrt gilt dasselbe Recht jedoch nicht für die Frau. Weiter darf der Mann seine Eltern in seinem Haus aufnehmen, was der Frau untersagt ist.

Strafe bei Vergewaltigung oder Entführung von Frauen

Paragraph 423 und Paragraph 398 des irakischen Strafgesetzbuchs drohen Vergewaltigern oder Entführern von Frauen hohe Haftstrafen an. Allerdings ist in Paragraph 427 angefügt, dass der Täter straffrei bleibt, falls die entführte oder vergewaltigte Frau einer Heirat mit ihm zustimmt.

Dieses Gesetz stellt eine große Schande dar, denn somit werden die Frauen mit Gewalt gezwungen, ihren Peiniger zu heiraten.

Paragraph 409 reduziert die Strafe für den Mann, falls ein sogenannter Ehrenmord sein Motiv war. 2002 hatte sich das südkurdische Parlament gegen diese Gesetzgebung ausgesprochen und erklärt, dass sogenannte Ehrenmorde als vorsätzliche Morde zu ahnden seien.

Dabei wird auch in Kurdistan weiter nach der irakischen Gesetzgebung vorgegangen. Bei sogenannten Ehrenmorden werden die Täter strafrechtlich nicht belangt. Diese Gesetzgebung, verabschiedet als Errungenschaft des Frauenkampfes, steht nur auf dem Papier.