Überlegungen zu PEGIDA

Falsche Antworten

Joachim Karazan

Über die PEGIDA-Demonstrationen als aktuelles Phänomen ist bereits viel geschrieben worden, sowohl in linken Publikationen als auch in den regulären Massenmedien. Die Islamfeindlichkeit PEGIDAs als Brücke zur allgemeinen AusländerInnenfeindlichkeit steht dabei häufig im Fokus. Es soll an dieser Stelle nicht eine weitere Herleitung erfolgen, wieso die Argumente der PEGIDA-AnhängerInnen jeglicher sachlichen Grundlage entbehren, oder einmal mehr bewiesen werden, dass hier eine rechtsoffene, populistische Mobilisierung stattfindet. Vielmehr sollen nur kurz einzelne Fragestellungen angerissen werden, die in der bisherigen Betrachtung keine ausreichende Berücksichtigung finden. Bei alldem muss gesagt werden, dass es sich um Einschätzungen und Beobachtungen handelt, die als Anstoß zu einer weitergehenden Debatte und nicht als abschließende Erklärung dienen sollen.

Es ist offensichtlich, dass die OrganisatorInnen von PEGIDA rassistische Vorurteile und Einstellungen bedienen, die tief und breit in der Gesellschaft der Bundesrepublik verankert sind. Hier trifft sich der Stammtisch, um sich in dem Gefühl, Masse zu sein, zu baden. Diese Einstellungsmuster in Deutschland sind nicht neu oder überraschend. Die Frage ist, warum PEGIDA ausgerechnet jetzt zu einer derartig großen Mobilisierung fähig ist. Überraschend ist auch, dass neben den zu erwartenden Symbolen (das Hakenkreuz als notgedrungene Abgrenzung nach rechts, das Antifa-Logo als linkes Feindbild und die IS-Flagge als Symbol des terroristischen Islam) ausgerechnet ein augenscheinliches PKK-Symbol von PEGIDA in den stilisierten Mülleimer auf ihrem Fronttransparent geworfen wird.
Um das zu begreifen, muss einerseits kurz die Entstehung von PEGIDA betrachtet werden, andererseits gefragt werden, wer dort eigentlich wieso demonstriert und warum so viele dabei sind. Schließlich gehört das Demonstrieren nicht zur allgemeinen deutschen Politkultur, vor allem nicht bei den Menschen, die jetzt in Dresden auf der Straße waren. Abseits der entschuldigenden Haltung von PolitikerInnen, die sich aus taktischen Gründen nicht eindeutig distanzieren wollen, ist uns auch nicht damit geholfen, alle PEGIDA-AnhängerInnen als Nazis abzustempeln, um ein einfaches Erklärungsmuster mit altbekannten Methoden der Gegenwehr zu haben. Vielmehr müssen wir uns, gerade jetzt, da die Größe der montäglichen Demonstrationen im Abflauen begriffen scheint, einen mittel- und langfristigen Zugang verschaffen, um uns nicht immer wieder ohne weitergehende Perspektive an einer rechtspopulistischen Bewegung abzuarbeiten.

Die Anziehungskraft von PEGIDA kann wohl kaum erklärt werden ohne einen Blick zurück auf die vorangegangenen Jahre, die die Etablierung eines neuen deutschen Patriotismus begründeten: Die Kampagne »Du bist Deutschland«, die Normalisierung des Fahnenschwenkens während der Fußball-WM 2006 bis zur völligen Selbstverständlichkeit in den folgenden EMs und WMs, die medialen Bilder einer nationalistischen Überheblichkeit begründet durch angeblich kollektive Opfer (»wir« dank Hartz IV gegen die reformunwilligen Pleiteeuropäer), das Wiedererstarken der asylfeindlichen »Das Boot ist voll«-Rhetorik und zahlreiche hier nicht aufgeführte Beispiele bildeten die Grundlage dafür, dass altbekannte Stammtisch-Ressentiments zu einer öffentlich auftretenden Bewegung werden konnten. Dass Menschen nicht nur verstohlen im Wahlkämmerchen ihr Kreuz rechts von der Mitte setzen, sondern voll Stolz und eigener Stärke hinter Parolen laufen, die wenige Jahre zuvor noch eindeutig zum Nazi-Stempel geführt hätten. Die Linke bis Linksradikale hat auf diese Re-Etablierung von Patriotismus keine passenden Antworten gefunden, sondern fast ausschließlich mit Verurteilung und Ablehnung der Masse reagiert, ohne dass die eigenen, emanzipatorischen Inhalte vermittelt werden konnten.

Für die rechtsoffene Mobilisierung brauchte es trotzdem einer gewissen Zäsur der Organisation, denn der Nazi-Stempel ist nicht ganz funktionslos geworden. Kaum vorstellbar, dass ein Aufruf der NPD mit absolut gleichem Wortlaut so erfolgreich gewesen wäre wie derjenige der PEGIDA-OrganisatorInnen.

Die Anfangszeit der PEGIDA-Organisation liegt in den Wochen Anfang Oktober 2014, als die Kämpfe in Kobanê auch in Deutschland zu einer riesigen öffentlichen Solidaritätswelle führten. Einen Tag, nachdem Lutz Bachmann in Dresden eine Demonstration mit der Forderung nach Waffenlieferungen für den kurdischen Widerstand gesehen hatte, gründete er die Facebook-Gruppe »Friedliche Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«. Hierin zeigt sich bereits die krude Vermischung rassistischer und antilinker Inhalte, gepaart mit Misstrauen gegenüber den Massenmedien, die im Oktober gefühlt so positiv über die PKK schrieben wie noch nie. Gleichzeitig wirkten die Angriffe von IS-Sympathisanten auf KurdInnen in Hamburg und Celle als Kristallisationspunkte. Die hufeisenförmige Konstruktion der Extremismustheorie, die neben der Verurteilung der linksradikalen auch der Beschwörung der eigenen »gemäßigten, mittigen« Identität dient, fand hier ihr außerdeutsches Pendant: auf der einen Seite die neuen BarbarInnen vom IS, auf der anderen die bekannten TerroristInnen der PKK und in der Mitte das arme deutsche Volk. Für die dabei entstehende identitäre Konstruktion ist es auch hier unerheblich, wie sehr das Ganze jeglicher sachlichen Grundlage entbehrt. Dazu gehört dann auch, dass in der Praxis trotzdem vor allem der Islam als Feindbild verfestigt wird, und dass das klassische »AusländerInnen raus« ein wenig differenzierter daherkommt. Es geht um das Gefühl, mehr Ordnung zu brauchen, und diese findet sich, ganz Biedermeier, in einer konservativen Wunschvorstellung und nicht im echten Leben. Der positive Bezug der radikalen Linken in Deutschland auf den Widerstand in Rojava trägt vielleicht den Rest dazu bei, wieso ausgerechnet die PKK als Feindbild von PEGIDA herhalten muss, denn was die Linken gut finden, ist verdächtig bis abzulehnen (dazu gehören dann auch »political correctness« und »gender mainstreaming«).

In der Quintessenz müssen wir uns wohl eingestehen, dass hier nicht einfach Nazis am Werk sind, sondern dass ein großer Teil der PEGIDA-AnhängerInnen die durchaus verständliche Angst und Überforderung in der kapitalistischen Moderne, das Gefühl des Abgehängtseins und die mangelnde gesellschaftliche Kollektivität, also eigentlich genau die richtigen Fragen mit genau den falschen Antworten bedient. Statt einer solidarischen Gemeinschaft wird eine völkische Identität beschworen. Das Gefühl, keinen Einfluss auf die Politik des eigenen Lebens zu haben, wird nicht mit basisdemokratischen Initiativen, sondern Rufen nach AnführerInnen und eingeschnappten Schlachtgesängen wie »Lügenpresse« beantwortet. Dahinter steht bei vielen kein geschlossenes Weltbild, aber gerade schafft es nur die gesellschaftliche Rechte, Anknüpfungspunkte und Erklärungsmuster zu bieten (und in gewissen Kreisen der Kescher des IS). Dabei zeigen die bundesweiten Zahlen der GegendemonstrantInnen, dass hier noch nicht die Masse der Gesellschaft, das vielbeschworene »Volk«, verloren gegangen ist. Als gesellschaftliche Linke müssen wir uns aber ernsthaft fragen, wieso wir diese Menschen nur mit einer Anti-Haltung, mit einer Gegenmobilisierung bewegen können. Die Bevölkerung ist emotional am richtigen Punkt, das Chaos der kapitalistischen Moderne verliert den Rückhalt, wir dürfen es nicht den Rechten überlassen, Alternativen so anzubieten, dass sie begeistern statt verschrecken.