Wie Öcalans Haltung im Friedensprozess zum gesellschaftlichen Umdenken verleitet

Von der Verleugnung zur Anerkennung

Rosa Burc im Gespräch mit Prof. Mithat Sancar

Prof. Dr. Mithat Sancar hat den aktuellen Friedensprozess im Hinblick auf die jüngsten Ereignisse in Rojava und die kommenden Parlamentswahlen in der Türkei bewertet. Er ist Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Ankara und war 2013 als Kommissionsmitglied des »Rates der Weisen« für die Marmara-Region verantwortlich. Heute kandidiert Sancar bei den bevorstehenden Parlamentswahlen für die HDP.


Der Friedensprozess – so die jüngsten Erklärungen der AKP-Regierung – habe lediglich nur das Ziel einer vollständigen Entwaffnung der PKK. Außerdem hätten die Forderungen der kurdischen Bewegung nach einem politischen Status noch nie auf der Tagesordnung der Friedensverhandlungen gestanden. Wie beurteilen Sie diese Aussagen vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Region?

Die Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) versucht alles in ihrer Macht Stehende, um den Inhalt und die Ziele der Gespräche so marginal wie möglich zu halten. Auch versucht sie den Übergang zu tatsächlichen Friedensverhandlungen so weit wie möglich hinauszuzögern, wenn nicht gänzlich zu blockieren. So erweckt sie in der Öffentlichkeit ganz gezielt den Anschein, dass die Türkei in keinerlei Verhandlungen mit der kurdischen Bewegung stehe, sondern lediglich das Thema der Entwaffnung diskutiere. Grund für diese Propaganda ist zweierlei: Zum einen verhält sich die Regierung hier sehr pragmatisch. Verständlicherweise möchte sie ihre eigene Wählerschaft sowie nationalistische Gruppierungen beruhigen und möglichen Negativreaktionen vorbeugen. Das ist keine überraschende Herangehensweise. Wir können sie bei allen politischen Parteien beobachten. Zum anderen jedoch will die AKP durch solche Aussagen in der Öffentlichkeit eine ganz bestimmte Wahrnehmung des Friedensprozesses schaffen. Indem sie wiederholt betont, ein politischer Status für die Kurden habe noch nie auf der Tagesordnung der Gespräche gestanden und werde es auch zukünftig nicht, beeinflusst sie, wie der Friedensprozess in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, und gleichzeitig erhofft sie sich damit, ihre Forderungen der kurdischen Bewegung aufzuzwingen.

Ganz im Sinne von »Ich habe die Verhandlungen ins Leben gerufen, also entscheide ich über Inhalt und Ausgang« ...

Ganz genau. Diese Haltung nimmt die Regierung seit dem Beginn der Gespräche konsequent ein. Von Anfang an behaupten die AKP und die ihr nahestehenden Kreise, der Friedensprozess sei ein Kind der Regierung. Doch das entspricht nicht der Wahrheit. Denn den Friedensprozess hat nicht Erdoğan, sondern ganz im Gegenteil Öcalan selbst initiiert. Es handelt sich hier um einen Friedensprozess, der vorsieht, dass alle Dialogpartner als Gleichberechtigte an einem Tisch sitzen. Damit dieser Prozess tatsächlich auch erfolgreich wird, sind Verhandlungsregeln sowie verschiedene Mechanismen zur Kompromissfindung notwendig. Das wird von der kurdischen Bewegung stets vertreten, vonseiten der AKP-Regierung aber konsequent ignoriert. Doch kann sich die Regierung in diesem Prozess kein Risiko leisten. Das wurde noch einmal besonders nach der Befreiung der Stadt Kobanê deutlich.

In diesem Zusammenhang hat die AKP-Regierung mit Äußerungen wie »Einen zweiten Nordirak werden wir nicht zulassen« die Aufmerksamkeit auf sich gezogen ...

Aussagen, die weit von der Realität entfernt sind ...

... jedoch möglicherweise Einfluss auf den weiteren Verlauf des Friedensprozesses nehmen könnten? Wie bewerten Sie solche Aussagen und wie werden sie von der türkischen Gesellschaft aufgenommen?

Es ist nicht das erste Mal, dass Erdoğan mit solchen Äußerungen auffällt. So erinnern wir uns noch allzu gut daran, wie er öffentlich erklärte, einem Korridor nach Kobanê nicht zuzustimmen. Doch was ist passiert? Die Stadt Kobanê ist befreit und Rojava ist heute eine internationale Angelegenheit. Der Widerstand in Kobanê hat nicht nur viel Prestige gewonnen, sondern ist mittlerweile auch eine nicht zu unterschätzende politische Kraft geworden. Heute sagt Erdoğan, er würde eine Selbstverwaltung in Rojava nicht akzeptieren, doch vergisst er, dass dies gar nicht in seiner Hand liegt. Abgesehen davon, dass die Türkei nicht die Macht hat, einen Status in Westkurdistan – was Erdoğan Nordsyrien nennt – zu verhindern. Während diese Statements für Unbehagen in der kurdischen Gesellschaft sorgen, passiert jedoch wenig in den türkischen Teilen der Gesellschaft. Im Grunde hinterfragen die wenigsten die Richtigkeit seiner Erklärungen – insbesondere, wenn es um Kobanê und Rojava geht.

Diese Aussagen sind demnach hauptsächlich als reaktionär zu kategorisieren. Ist die offensive Haltung Erdoğans nach der Befreiung der Stadt Kobanê auch im Hinblick auf den Friedensprozess zu erklären? Es scheint fast so, als wolle die Regierung damit ihren »Machtverlust« in Rojava kompensieren und mit besseren Karten an den Verhandlungstisch. Würden Sie dem zustimmen?

Das spielt natürlich auch eine Rolle. Die Regierung war sich von Anfang an darüber im Klaren, dass Rojava für die kurdische Bewegung und für Öcalan ein entscheidender Faktor im Friedensprozess sein würde. Doch sie entschied sich, diesen Faktor zu ignorieren. So wurde aus den Reihen der AKP mehrfach geäußert, dass die Ereignisse in Kobanê den Friedensprozess in keiner Weise beeinflussen könnten, dass es sich dabei um Entwicklungen außerhalb der türkischen Staatsgrenzen handele und sie somit auch nicht inhaltlicher Bestandteil des Friedensprozesses sein könnten. Der Widerstand und der anschließende Sieg der Volks-/Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) und ihrer Verbündeten haben die Pläne der Türkei jedoch komplett durchkreuzt und sogar dazu geführt, dass die Regierung nun gezwungen ist, eine neue Politik zu entwickeln. Ihr ist zwar bewusst geworden, dass ihre Syrienpolitik mittlerweile veraltet bzw. gescheitert ist, sie hat jedoch bisher keine neue entwickeln können. So bleibt ihr nichts weiter übrig, als mit Propaganda und Agitation die aktuelle Situation zu überbrücken und so etwas Zeit zu gewinnen. Denn letztlich fühlt sie sich in ihrer vermeintlich starken Position am Verhandlungstisch mit Öcalan und der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) geschwächt – auch zu erkennen an den zahlreichen populistischen Verlautbarungen.Demonstration zum Jahrestag der Entführung Öcalans | DIHA

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK initiiert wurde. Man erinnert sich beispielsweise an die Oslo-Gespräche, die aus verschiedenen Gründen scheiterten. Glauben Sie, dass wir es heute mit einem anders gearteten Friedensprozess zu tun haben? Wenn ja, was hat sich seit Oslo verändert?

In Oslo wurden der kurdischen Bewegung etliche Zugeständnisse gemacht. Ich beziehe mich hier auf die Aufzeichnungen und Dokumente, die an die Öffentlichkeit gelangten. Alle Zugeständnisse wurden wieder zurückgezogen, da sich die Regierung nicht in der Lage sah, diese Versprechen tatsächlich umzusetzen. Insbesondere im Hinblick auf die türkische Öffentlichkeit und ihre eigene Wählerschaft. Das Scheitern der Oslo-Gespräche ist darauf zurückzuführen.

Handelt es sich hier um eine staatliche Mentalität oder realpolitische Bedingungen, die zum Scheitern der Oslo-Gespräche führten? Und was ist heute anders?

Natürlich spielt auch die Mentalität eine gewisse Rolle, doch handelt es sich hier um hauptsächlich realpolitische Hindernisse, die die Regierung nicht überwinden konnte. Im Vergleich zu den Oslo-Gesprächen erscheint der aktuelle Friedensprozess in einem neuen Licht. Zum ersten Mal werden die Verhandlungen vor den Augen der türkischen Öffentlichkeit, der Weltöffentlichkeit geführt. Die Bürger können, wenn sie möchten, den Verlauf des Friedensprozesses verfolgen. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir alles erfahren, was besprochen wird, aber zumindest handelt es sich nicht um geheime Treffen wie damals in Oslo. Außerdem wurden Öcalan und die kurdische Bewegung zum ersten Mal offiziell als Dialogpartner für eine Lösung der Kurdenfrage anerkannt. Man kann sagen, dass die PKK in der Geschichte der türkischen Republik, nach rund 35 Jahren, überhaupt zum ersten Mal anerkannt wurde. Diese Entwicklung ist eine äußerst wichtige und verdeutlicht den Unterschied zwischen dem aktuellen Friedensprozess und den Oslo-Gesprächen.

Also handelt es sich um eine Entwicklung weg von der Verleugnung und hin zur Anerkennung ...

Gerade aus diesem Grund spielt der Friedensprozess diesmal eine unheimlich wichtige Rolle. Wir sprechen von der Anerkennung einer Bewegung, deren Existenz jahrzehntelang verleugnet und marginalisiert wurde. Die PKK wird immer mehr mit ihrer politischen Identität wahrgenommen. Nicht nur in der Türkei, sondern auch in der gesamten Welt. Sie kommt der vollständigen Anerkennung als politische Akteurin in der Region immer näher. Aufgrund der jüngsten Ereignisse in der Region und ihrer politischen Standhaftigkeit im Friedensprozess hat sie sich als eine entscheidende Protagonistin bei der Lösung der Kurdenfrage erwiesen. Da die Verhandlungen jedoch vor den Augen der Öffentlichkeit geführt werden, ist es unvermeidlich, dass nur ganz langsam Fortschritte erreicht werden. Hier ist die Haltung der Regierung natürlich auch wichtig. Da sie sich stetig darum bemüht, Kompromisse und Zugeständnisse so weit wie möglich hinauszuzögern, versucht sie durch ihre zögerliche Haltung, den weiteren Verlauf bewusst zu verlangsamen – teilweise zu sabotieren.

Sie haben beschrieben, wie Abdullah Öcalan zunehmend, insbesondere im Rahmen des aktuellen Friedensprozesses, vonseiten der Regierung als politischer Akteur wahrgenommen wird. Wie sieht es mit der Anerkennung in der türkischen Gesellschaft aus? Hat sich das Bild in den Köpfen der Menschen verändert?

Definitiv. Schon seit Langem können wir eine essentielle Veränderung beobachten. Die Standhaftigkeit und Ruhe, die Öcalan in kritischen Situationen demonstrierte, hat meiner Meinung nach außerordentlich viele Menschen überrascht und beeindruckt. Seine Haltung hat das Denken nicht nur von Konservativen, sondern sogar von Nationalisten beeinflusst.

In welcher Weise beeinflusst?

Sehr positiv. Öcalan wird als ein politischer Führer mit einer nachhaltigen und langfristigen Vision wahrgenommen, der sich durch seine innere Ruhe als echter Politiker auszeichnet. Es gibt weiterhin Teile der Gesellschaft, die ihre Abneigung – ja sogar teilweise Hass – ihm gegenüber zum Ausdruck bringen. Doch liegen mittlerweile Welten zwischen dem Bild von Öcalan, das vor drei bis vier Jahren in den Köpfen der Menschen war, und wie er heute wahrgenommen wird. Die Tatsache, dass berühmte Schauspieler, wie beispielsweise Kadir Inanır, öffentlich verkünden, Öcalan sei zweifellos der Führer seines Volkes, spricht für sich. Auch in den Köpfen der meisten Türken hat sich das Bild von Öcalan als Führer seines Volkes durchgesetzt. Es wird immer schwieriger, diese Realität zu verleugnen.

Nun hat Öcalan das Konzept des »Demokratischen Konföderalismus« entworfen. Neben seiner Rolle als Führungsfigur des kurdischen Volkes entwickelt er auch Lösungsvorschläge für eine Demokratisierung der gesamten Türkei und Region. Werden seine Thesen in der türkischen Gesellschaft wahrgenommen?

Inwieweit dies der Fall ist, wird sich erst im weiteren Verlauf des Friedensprozesses zeigen. Wir wissen, dass das Projekt »HDP« (Demokratische Partei der Völker) Öcalans Idee war. Er ist zwar mit diesem Projekt ein großes Risiko eingegangen, hat aber bereits nach kurzer Zeit erhebliche Erfolge beobachten können. Die Ablehnung des Nationalstaates, so wie er es in seinen theoretischen Abhandlungen beschreibt, geht einher mit der Akzeptanz einer gemeinsamen Existenz – eines gemeinsamen Lebens. Das ist jedoch nur durch das Erlangen eines politischen Status möglich. Außerdem erschließt sich schnell, dass ein friedliches Zusammenleben nur entworfen werden kann, wenn der Fokus nicht auf den Rechten nur einer Bevölkerungsgruppe liegt – in diesem Fall denjenigen der Kurden. Die Ablehnung des Nationalstaates geht somit logischerweise einher mit einer Politik, die alle Teile der gesamten Bevölkerung anspricht. Öcalan und der HDP geht es nun darum, die methodischen und organisatorischen Wege für die Realisierung dieser Politik zu öffnen.

Ich würde Sie gern an dieser Stelle um Ihre Einschätzung zu den kommenden Parlamentswahlen bitten. Zu der Ankündigung der HDP, als Partei anzutreten, erklärte Erdoğan, die HDP müsse sich in dem Falle, dass sie unter der 10%-Hürde bleibe, von ihrem Status als Ansprechpartnerin im Friedensprozess verabschieden.

Erdoğan und seine Regierung versuchen hier damit zu sagen, dass in einem solchen Falle die HDP nicht mehr mit dem Status als politische Partei am Friedensprozess teilnehmen könne. Natürlich schwingt bei solchen Erklärungen auch der Versuch mit, die HDP zu verunsichern und dazu zu verleiten, wieder als unabhängige Kandidaten anzutreten. Der AKP, besonders Erdoğan, liegt viel daran, den Status quo beizubehalten – sprich maximal 30 bis 35 Abgeordnete der HDP im Parlament zu sehen.

Wie würden Sie unter diesen Umständen den Einfluss eines (Nicht-)Einzugs der HDP ins Parlament auf den Friedensprozess einschätzen?

Die AKP will unter keinen Umständen, dass die HDP als Partei bei den Wahlen antritt. Aus dem einfachen Grund, dass ein (Nicht-)Einzug der HDP in das Parlament – in beiden Fällen – für die AKP mit enormen Konsequenzen verbunden ist. Nehmen wir an, die HDP als Partei überwindet die 10%-Hürde, so wird die parlamentarische Kraft der AKP stark geschwächt. Es wird für die AKP nicht möglich sein, die Verfassung im Alleingang zu ändern. Sie wird somit auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien angewiesen sein. Die Republikanische Volkspartei (CHP) oder die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) bieten sich jedoch nicht wirklich an, da dies für die AKP bedeuten würde, sich vom Friedensprozess ganz verabschieden zu müssen. So kommt für die Regierung einzig und allein die HDP für eine mögliche Kooperation infrage – natürlich nur, wenn sie gewillt ist, den Friedensprozess fortzuführen. Das zeigt auch, dass eine starke HDP gleichzeitig auch die Existenz einer echten Opposition in der türkischen politischen Landschaft bedeuten würde. Falls die HDP den Einzug ins Parlament jedoch aufgrund der 10%-Hürde nicht schaffen sollte, dann muss die Regierung diesmal selbst mit Qandil, dem Kongress für eine Demokratische Gesellschaft (DTK) und der kurdischen Bewegung in Verbindung treten, um den Friedensprozess am Leben zu halten, sprich ohne die Abgeordneten der HDP als Mittler einzusetzen. Gleichzeitig wird die HDP – und ich sage das ganz ohne Zweifel – verstärkt daran arbeiten, ihre Politik der Demokratischen Autonomie de facto umzusetzen. Ich denke nicht, dass die AKP in der Lage sein wird, diese Herausforderungen allein zu bewältigen. Davor hat sie auch Angst. Aus diesen Gründen, egal ob die HDP ins Parlament einzieht oder draußen bleibt, ist der AKP sehr unwohl bei der Tatsache, dass die HDP als Partei in die Wahlen zieht.

Weshalb andere Gruppierungen der Linken von der HDP so beunruhigt sind, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Womöglich befürchten sie deren Hegemonie im linken Spektrum und begründen deshalb alternative Parteien und Bewegungen. Gleichzeitig wird die Wahrnehmung verbreitet, die HDP trete als Partei nur an, um die Macht der AKP und Erdoğans zu stärken – da von vornherein klar sei, dass es eine Wahlniederlage geben werde. Diese Kritik wird jedoch meist in Kreisen geäußert, die einen sehr eingeengten Blick auf die Entwicklungen haben und Politik nur über einen »Erdoğan-Zentrismus« verstehen.

Bereits die Ankündigung der HDP, als Partei zu kandidieren, hat zahlreiche Gruppen in der türkischen Gesellschaft – seien es linke, liberale Kreise oder die AKP – gezwungen, sich mit manchen Problemen in einer noch realistischeren und aufrüttelnderen Weise auseinanderzusetzen. Die Entscheidung, als Partei in die Wahlen zu gehen, hat sich bereits jetzt als erfolgreiches Manöver erwiesen. Wie noch nie zuvor sind die türkische Gesellschaft und Politik mit den Realitäten des Landes so unmittelbar konfrontiert. Jetzt liegt es an denen, aus dieser Situation heraus eine neue, sprich demokratischere Politik zu entwickeln.

Bedeutet dies, dass eine Demokratisierung der Türkei nur durch einen Konjunkturwechsel stattfinden kann? Anders formuliert, wenn die AKP gezwungen wird, einer Demokratisierung zuzustimmen?

Darauf zu warten, dass die AKP von sich aus demokratische Schritte einleitet, ist unrealistisch. Hätte die AKP über genügend politische Macht verfügt, dann hätte sie weder Gesprächen mit der kurdischen Bewegung noch einem Friedensprozess zugestimmt. Sie hätte ihre eigene Politik aufgezwungen. Doch ihre Kraft hat dazu nicht gereicht. Das Land befand sich 2012 in einer der schlimmsten Phasen des Krieges, insbesondere aufgrund der überaus strikten Sicherheitspolitik der AKP. Die Regierung wollte die PKK als eine »gebrochene« Bewegung am Verhandlungstisch haben. Das hat jedoch nicht funktioniert und so blieb der AKP nichts weiter übrig, als in einen Friedensprozess einzuwilligen.

Ist diese politische Konjunktur grundsätzlich auf die Haltung der kurdischen Bewegung zurückzuführen oder liegt es vielleicht auch daran, dass sich innerhalb der türkischen Gesellschaft eine zunehmende Unruhe und Abneigung gegen die AKP-Politik entwickelt?

Dass die AKP heute am Verhandlungstisch sitzt, ist dem militärischen und politischen Widerstand der kurdischen Bewegung zu verdanken. Anders als die vorherigen Regierungen hat die AKP einen sehr pragmatischen Charakter. Deshalb fällt es ihr etwas leichter, sich an veränderte Gegebenheiten anzupassen. Selbstverständlich versucht sie stets, einen alternativen, sprich für sich vorteilhaften Weg zu finden. Wenn wir heute jedoch von einem seit zwei Jahren laufenden Friedensprozess sprechen, dann ist das nur der Fall, weil der AKP keine andere Option geblieben ist. Sie wurde bisher aufgrund der politischen Konjunktur, die stark von der Haltung der kurdischen Bewegung beeinflusst war, gezwungen, an diesem Friedensprozess teilzunehmen.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Rosa Burc hat ihren M.Sc. in International Politics an der SOAS, University of London. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Sie promoviert am Lehrstuhl für Regierungslehre im Bereich der Transformations-, Nationalismus- und Föderalismusforschung.