11. Internationale EUTCC-Konferenz »Die Europäische Union, die Türkei, der Nahe/Mittlere Osten und die Kurden«

Chaos und Krise im Nahen/Mittleren Osten: regionale Neustrukturierung und die Kurden

Dersim Dağdeviren, Vorsitzende von Kurd-Akad. Netzwerk kurdischer AkademikerInnen e. V.

Vom 10. bis 11. Dezember 2014 fand im Europäischen Parlament in Brüssel die 11. Internationale Konferenz »Die Europäische Union, die Türkei, der Nahe/Mittlere Osten und die Kurden« statt. Sie wurde auch in diesem Jahr von der EU Turkey Civic Commission (EUTCC) gemeinsam mit der Fraktion Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europaparlament ausgerichtet. Die Konferenz tagte zu dem Thema »Chaos und Krise im Nahen/Mittleren Osten: regionale Neustrukturierung und die Kurden«. Die Schirmherren der Konferenz waren Erzbischof emeritus Desmond Tutu, Friedensnobelpreisträger aus Südafrika, Dr. Shirin Ebadi, Friedensnobelpreisträgerin aus dem Iran, Bianca Jagger, Sonderbotschafterin des Europarates und Vorsitzende der Bianca-Jagger-Menschenrechtsstiftung, Prof. Noam Chomsky, Schriftsteller aus den USA, Yaşar Kemal, Schriftsteller aus der Türkei, Vedat Turkali, Schriftsteller aus der Türkei, und Leyla Zana, Trägerin des vom Europäischen Parlament verliehenen Sakharov-Friedenspreises. Sämtliche Redebeiträge wurden simultan in zehn verschiedene Sprachen, u. a. Türkisch, Englisch, Deutsch und Französisch, übersetzt. Die Konferenz konnte erstmalig per Livestream im Web verfolgt werden. Unter den Konferenzteilnehmern befanden sich zahlreiche Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und Akademiker aus Europa, der Türkei und den USA.11. Internationale EUTCC-Konferenz „Die Europäische Union, die Türkei, der Nahe/Mittlere Osten und die Kurden“

Die Eröffnungsrede der Konferenz hielt die Vorsitzende der EUTCC, Prof. Kariane Westrheim. Sie betonte die Wichtigkeit dieser mittlerweile traditionellen Veranstaltung im Europäischen Parlament und verlas die Grußbotschaft des Erzbischofs emeritus Desmond Tutu, der seine geplante Teilnahme aus gesundheitlichen Gründen hatte absagen müssen. Desmond Tutu wünschte dem Friedensprozess in der Türkei einen erfolgreichen Verlauf und verwies auf die Wichtigkeit internationaler Unterstützung, wie es sie im südafrikanischen Kampf gegen die Apartheid gegeben hatte. Er äußerte seine Hoffnung auf eine baldige Freilassung von Abdullah Öcalan, damit dieser seine Funktion in der Gesellschaft ausüben könne. Kariane Westrheim trug zudem die Grußworte des Vorsitzenden des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, vor. Anschließend begrüßte Gaby Zimmer, MdEP und Vorsitzende der Fraktion Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke, die Konferenzteilnehmer. Sie stellte klare Forderungen nach einer aktiveren Funktion der europäischen Staaten im Hinblick auf den Friedensprozess und die Streichung der PKK von der Terrorliste der EU. Adem Uzun, Mitglied des Nationalkongresses Kurdistan, verwies auf die vertanen Chancen der AKP-Regierung im Friedensprozess sowie die Gefahr eines erneuten Krieges und kritisierte die Herangehensweise der EU und der USA an die kurdische Frage als Frage von Sicherheit und individuellen Rechten.

Die erste Sitzung, die von Essa Moosa, Internationale Initiative für Frieden und Aussöhnung, und mir als Vorsitzender von Kurd-Akad moderiert wurde, befasste sich mit dem Thema »Den türkisch-kurdischen Friedensprozess stärken: eine neue Chance für die Türkei und die Region«. Da Pervin Buldan, Kofraktionsvorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und Mitglied der Imralı-Delegation (Gruppe von HDP-Abgeordneten, die im Rahmen des Dialogprozesses Gespräche mit Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imralı führt), ihre Teilnahme aufgrund der Intensität der Gespräche mit Vertretern der kurdischen Seite und der türkischen Regierung kurzfristig hatte absagen müssen, wurde die Grußbotschaft Abdullah Öcalans von Herrn Moosa verlesen. Herr Öcalan begrüßte die Konferenz als wichtigen Teil des Friedensprozesses, der in eine historische Phase getreten sei, und verwies auf die Notwendigkeit einer Intensivierung der Bemühungen aller Seiten für einen erfolgreichen Ausgang dieses Prozesses. Redner dieser Sitzung waren Prof. Dr. Dr. Hans Joachim Giessmann, einer der beiden Geschäftsführer der Berghof Foundation, über die Eckpunkte einer Roadmap für diesen Friedensprozess, Rina Ronja Kari, MdEP aus Dänemark, über die Herangehensweise der Europäischen Union an die hier lebenden Kurden, Hüseyin Yayman, Journalist aus der Türkei, zum Friedensprozess im Hinblick auf die türkische Zivilgesellschaft, Arzu Yilmaz, Politikwissenschaftlerin an der Universität Ankara, zum Friedensprozess im Kontext der Entwicklungen in der Region und Marieke van Eik, Rechtsanwältin aus den Niederlanden, zum Thema Beitrag und Hindernisse der EU für die Lösung der kurdischen Frage unter dem Aspekt der Streichung der PKK von der Terrorliste.

Die Alternativen zum Chaos im Nahen/Mittleren Osten waren Thema der zweiten Sitzung, die von EUTCC-Generalsekretär Prof. Michael Gunter aus den USA und dem Aktivisten Osman Kavala aus der Türkei moderiert wurde. Über die Irak-Krise, den IS und die kurdischen Regionen sprach Prof. Abbas Vali von der Boğaziçi-Universität Istanbul. Prof. Ofra Bengio vom Moshe Dayan Center der Universität Tel Aviv referierte zum Thema Suraqiland und die Paradigmenwechsel im Nahen/Mittleren Osten. Die Politikwissenschaftlerin Bahar Şimşek sprach über West-Kurdistan, den IS und das Assad-Regime. Über mögliche Beiträge der EU für Frieden, Stabilität und Sicherheit im Nahen/Mittleren Osten referierte die niederländische Journalistin Fréderike Geerdink. Bodil Ceballos, MdEP, äußerte sich zur EU-Politik im Nahen/Mittleren Osten und insbesondere Kurdistan. Der Kovorsitzende der PYD, Salih Muslim, sprach über kurdische multiethnische Lösungswege für den Nahen/Mittleren Osten.

Die dritte Sitzung, moderiert von Jürgen Klute, ehemalig MdEP, und der Journalistin Aslı Aydıntaşbaş, befasste sich mit den Möglichkeiten einer Lösung für die Krise im Nahen/Mittleren Osten. Der französische Rechtsanwalt Me Antoine Comte informierte über den Stand der Ermittlungen im Fall der im Januar 2013 in Paris ermordeten kurdischen Politikerinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez. Über die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU im Kontext der kurdischen Frage sprach Dr. phil. Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Journalistin Şirin Payzın referierte zum radikalen Islam im Nahen/Mittleren Osten. Über die Erwartungen und Verpflichtungen des Westens sprach Dr. Michael Rubin vom American Enterprise Institut, USA. Gönül Kaya referierte im Namen der kurdischen Frauenbewegung über die Frauen-Perspektiven für die Lösung der Konflikte im Nahen/Mittleren Osten. Der Kovorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, äußerte sich zum Thema »Der kurdische Beitrag zu einer neuen demokratischen Türkei, basierend auf der Einheit von Vielfalt«.

Die Konferenz endete mit der Verabschiedung der Abschlussresolution, in der folgende wesentliche Feststellungen getroffen bzw. Forderungen aufgestellt wurden: eine dauerhafte Lösung der kurdischen Frage, die Freilassung Abdullah Öcalans als Schlüsselfigur im Lösungsprozess, die Streichung der PKK von der Terrorliste als Schritt zur Stärkung des Friedensprozesses, eine aktivere Unterstützung des Prozesses durch die EU und die USA sowie die Deklaration des 1. November als Internationaler Tag für Kobanê.

Als jemand, der bereits 2011, damals als Gast, an der Konferenz teilgenommen hatte, kann ich zahlreiche positive Entwicklungen im Hinblick auf die Gestaltung der Konferenz aufführen. Neben einer Professionalisierung der Organisationsabläufe, basierend auf elfjähriger Erfahrung, ist auch ein wachsendes internationales Interesse (einschließlich mediales) an der Konferenz, das sich im Teilnehmerspektrum widerspiegelt, zu verzeichnen. Dass deutlich mehr Frauen auf dem Podium sitzen, ist ebenfalls ein Resultat der positiven Entwicklungen und unterstreicht zudem die Rolle der Frauen in der Bewältigung von Krisen und Konflikten im Allgemeinen und im Friedensprozess in der Türkei im Speziellen. Auf dem Podium war auch ein Zuwachs an jungen Referenten und Moderatoren zu verzeichnen, was im Hinblick auf die Dynamik von Prozessen und die Fortführung solcher Arbeiten besonders wichtig ist. Wünschenswert wäre für die Zukunft eine stärkere Wirkkraft der Konferenz auf die Europäische Union bzw. die internationale Staatengemeinschaft und die Beteiligung aller Fraktionen im Europäischen Parlament an dieser für den dauerhaften Frieden im Nahen/Mittleren Osten so wichtigen Konferenz.