Delegation bei den Asayîş  | Foto: http://rojavadelegation.blogspot.deReisebericht aus Rojava

Zwischen demokratischem Aufbruch und Angriffen des Islamischen Staates

Martin Dolzer

Vom 14. September bis 24. September reisten wir, eine Delegation bestehend aus Prof. Dr. Norman Paech, Dr. med. Gisela Penteker, Rechtsanwältin Britta Eder, dem Mitglied der Föderation der Êzîdischen Vereine e. V., Yilmaz Kaba, und dem Soziologen Martin Dolzer, nach Rojava (Nordsyrien) und in den Nord­irak. Hier einige Eindrücke von unserer Reise.

Demokratische Selbstverwaltung in Rojava

Im Norden Syriens haben sich KurdInnen gemeinsam mit sämtlichen dort lebenden Bevölkerungs- und Religionsgruppen in demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen basisdemokratisch organisiert. Die Region heißt Rojava (Westkurdistan). Verteilt auf drei örtlich nicht zusammenhängende Kantone, Cizîrê, Kobanê (Ain al-Arab) und Afrîn, leben rund 6 Millionen Menschen, darunter 4 Millionen KurdInnen, 1 Million Angehörige weiterer Bevölkerungsgruppen und zwischen 800 000 und 1 Million Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens. Entlang der türkisch-syrischen Grenze liegen zwischen den drei Kantonen Herrschaftsgebiete der dschihadistischen Gruppe Islamischer Staat (IS). Die Assad-Regierung hat sich aus der Region bis auf einige wenige Enklaven zurückgezogen. Dazu gehört u. a. der Flughafen von Qamişlo (Al-Qamishli), als strategisch wichtiger Ort.

»Die multiethnischen und multireligiösen Selbstverwaltungsstrukturen, die wir momentan in Rojava aufbauen, könnten ein Modell für ein an friedlichen und humanistischen Maßstäben orientiertes Zusammenleben aller Menschen im Mittleren Osten sein«, erklärt uns Scheich Hamidy al-Jarba, Präsident der Übergangsregierung des Kantons Cizîrê im Gespräch. Er ist Stammesführer des größten und ältesten arabischen Stammes in der Region, der Shammar. Über den Mittleren Osten und Nordafrika verteilt gehören dem Stamm mehrere Millionen Menschen an. Hamidy al-Jarba sieht in einer selbstbestimmten, respektvollen, gemeinsamen Organisierung in Rojava die einzig stabile Zukunftsperspektive.

Basisdemokratische Strukturen organisieren sich in Rojava in Komitees, die in Stadtteilen und Dörfern gebildet werden. Sie entwickeln einen gemeinsamen Umgang für sämtliche Belange des Alltags. Das betrifft u. a. Bildung, Gleichberechtigung der Frau, Sicherheit, wirtschaftlichen Aufbau, Landwirtschaft, Religionsfragen und Konfliktlösung. Die Komitees bilden in einem Delegiertensystem Räte, die in jedem der drei Kantone eine Übergangsregierung gewählt haben. Diese bestehen jeweils aus bis zu 22 Personen, die den unterschiedlichen religiösen und ethnischen Bevölkerungsgruppen angehören. Die Übergangsregierungen haben in Zusammenarbeit mit Komitees bereits eine Verfassung erarbeitet. In nächster Zeit sind reguläre Wahlen geplant. Aufgrund der aktuellen Angriffe auf Rojava (s. u.) steht der genaue Zeitpunkt allerdings noch nicht fest. Bei diesen Wahlen wird es eine quotierte Mindestzahl an Sitzen für die unterschiedlichen Bevölkerungs- und Religionsgruppen geben. Die Anzahl dieser Sitze beträgt 30 % des Gesamts, 70 % der Sitze werden in freier Wahl vergeben.

Aufgrund eines Embargos durch die umliegenden Kräfte, hauptsächlich die Türkei und die kurdischen Autonomiegebiete in Südkurdistan, herrscht in Rojava Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten. Die Selbstverwaltungsstrukturen entwickeln deshalb schrittweise eine möglichst autarke Versorgung mit Landwirtschaftsprodukten und existenziell notwendigen Gütern. Die Monokulturen in der ehemaligen »Kornkammer« Syriens umzufunktionieren ist allerdings nicht einfach. Mittlerweile werden auf Initiative der Versorgungskomitees Tomaten, Gurken, Wassermelonen, Honigmelonen, Kartoffeln und weitere Produkte angebaut. Von den vorhandenen Erdölpumpen können nur circa ein Fünftel genutzt werden, da die weiteren ihr Öl in Pipelines pumpen würden, die in vom IS kontrollierten Gebieten liegen.

»In Cizîrê leben verschiedene ethnische Gruppen wie KurdInnen, AraberInnen, ArmenierInnen und TschetschenInnen sowie Religionsgruppen und Glaubensgemeinschaften wie ÊzîdInnen, assyrische und chaldäische ChristInnen wie auch sunnitische und einige wenige schiitische Moslems. Es ist wichtig, dass sich die Menschen an der Gestaltung der Gesellschaft und des täglichen Lebens beteiligen. Der Mensch und nicht bürokratische Abläufe stehen in unserer Gesellschaft im Mittelpunkt des Wirkens. Nur in gemeinsamer Arbeit und im Bewusstsein der politischen und geostrategischen Situation können wir Lösungen entwickeln«, erklärt Hediya Yusuf, die Präsidentin der Übergangsregierung von Cizîrê.

Leitungsfunktionen werden in Rojava jeweils gleichberechtigt von einem Mann und einer Frau besetzt, in sämtlichen Gremien gilt eine 40%-Geschlechterquotierung für Frauen und Männer. »SunnitInnen, SchiitInnen, assyrische und chaldäische ChristInnen sowie ÊzîdInnen versuchen hier, im Gegensatz zum Chaos in der Region, konstruktiv zusammenzuarbeiten. Aus der Vielfalt der Ethnien, Religionen und Kulturen, die hier verwurzelt sind, beziehen wir unsere Stärke und Stabilität«, so Hediya Yusuf weiter. Es sei nicht immer einfach, die Menschen trotz völlig unterschiedlicher Sozialisation und Lebensweise sowie starken militärischen und strukturellen Drucks von regionalen und internationalen Kräften zusammenzubringen. In den letzten zwei Jahren habe das Projekt der gemeinsamen Selbstverwaltung in Rojava jedoch eine sehr positive Dynamik angenommen und Bewusstseinsbildungsprozesse ausgelöst, die unumkehrbar sind und vielen Menschen Hoffnung und eine Zukunftsperspektive geben. Eine schrittweise Synthese der Stärken und Errungenschaften der jeweiligen Bevölkerungsgruppen und Traditionslinien zu entwickeln sei dabei ein zentrales Moment.

Ende Juli wurde in Qamişlo die Mezopotamya-Universität eröffnet. ProfessorInnen und Menschen mit Lebenserfahrung entwickeln gemeinsam mit den Studierenden eine egalitäre Forschung und Lehre. Die letzten 10 000 Jahre der Geschichte werden aus der Sicht der Bevölkerungsgruppen recherchiert und die emanzipatorischen Ansätze aus den weltweit unterschiedlichen Kulturen in einer Synthese verschmolzen, um auch Konzepte für die Gegenwart entwickeln zu können. Die Studierenden sind an der Leitung und Verwaltung gleichberechtigt beteiligt. Studierende und Lehrende leben gemeinsam auf dem Campus, auf einem Hügel etwas oberhalb von Qamişlo. Auch die Küche wird im Kollektiv in Eigenregie betrieben. Die Universität sucht internationalen Austausch, um die drei dort ansässigen Fakultäten (Geschichte/Soziologie/Politikwissenschaften, Recht und Sprache) besser aufbauen zu können.

Die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ

Zur Selbstverteidigung hat die Bevölkerung die Volksverteidigungseinheiten YPG und Frauenverteidigungseinheiten YPJ aufgebaut. Rêdûr Xelil, der Oberste Kommandierende der YPG, erklärt: »Wir sind kein herkömmliches Militär, sondern den Frieden liebende Menschen. Die YPG/YPJ übernehmen den in dieser Region nötigen Schutz von Leben, Demokratie und Freiheit. Die menschenfeindliche Organisation IS kämpft mit allen Mitteln gegen das basisdemokratische Modell in Rojava. Da die Regionalmächte, aber auch Teile der westlichen Kräfte versuchten und zum Teil noch immer versuchen, ihre strategischen Interessen durchzusetzen, werden die demokratischen Strukturen in Rojava seit zwei Jahren u. a. vom IS auch mit Unterstützung der Türkei angegriffen.«

Seit dem 15. September herrscht eine ununterbrochene Auseinandersetzung um Kobanê, den mittleren der drei Kantone von Rojava an der Grenze zur Türkei. Der IS hat hier einen Großangriff mit modernsten schweren Waffen gestartet, die er in Mûsil (Mossul) erobert hatte. Per Zug und LKW wurden zusätzlich über die Türkei Panzer und schwere Geschütze direkt an die türkisch-syrische Grenze gebracht. Die KämpferInnen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ sind von drei Seiten gleichzeitig in heftige Abwehrkämpfe verwickelt und leisten Widerstand gegen den IS.

Dieser kontrolliert eine Region vom irakischen Mûsil über Tikrit bis Syrien über Süd-Heseke (al-Hasaka) nach Kobanê und kann deshalb ohne größere Probleme Waffen verschieben. Kämpfer aus den Kriegen in Afghanistan, Irak und Somalia, ergänzt von ehemaligen Revolutionsgarden der Armee Saddam Husseins, verfügen über das nötige Wissen zur Bedienung der modernen Waffen und schulen IS-Kämpfer im Umgang damit.

Die YPG/YPJ, die Rojava schon drei Jahre lang erfolgreich gegen den IS verteidigen, besitzen keine gleichwertigen Waffen. Sie beziehen Kraft und Erfolg aus ihrem unbedingten Widerstandswillen, die Menschen in Rojava zu verteidigen. Allerdings ist die Lage sehr ernst. Die Luftangriffe der US-Amerikaner auf IS-Stellungen im Irak erklärt Rêdûr Xelil für nicht aufrichtig, denn Zentrum und Hauptstellungen der Terrororganisation befänden sich in Syrien. Die Angriffe der USA würden den IS aus dem Irak nach Syrien treiben, wo er sich dann vornehmlich gegen die kurdischen Gebiete/Rojava richte. Die jetzt vom US-Kongress bestätigte Entscheidung, »gemäßigte Rebellen« in Syrien auszurüsten, zu bewaffnen und in Saudi-Arabien auszubilden, sei zynisch.

Die Menschen in Rojava sind offenbar nicht von vergleichbarem strategischem Interesse wie zum Beispiel die Demokratische Partei Kurdistans (PDK) um Mesûd Barzanî. Rêdûr Xelil hat keinen Zweifel daran, dass die USA mit ihrem militärischen Potential den IS in kürzester Zeit vernichten könnten. Mit modernen Waffen wie Drohnen und zielgenauen Lenkwaffen wäre das kein Problem. Die Terrororganisation werde allerdings als destabilisierende Kraft gebraucht und benutzt. Sie solle eine Atmosphäre von Angst und Schrecken im gesamten Mittleren Osten verbreiten.

Nach Angriffen des IS sollten die Menschen in den Regionen dann die USA um Hilfe bitten. Auch in Europa werde diese Angst vor dem Näherrücken des Terrors geschürt. Sämtliche regionalen und internationalen Akteure hätten Entstehen und Wachstum von ISIL/ISIS (Islamischer Staat in Irak und Levante/Syrien), wie sich der IS zuvor nannte, beobachten können, man habe aber bewusst weggeschaut und die Terrororganisation gefördert, um sie zu benutzen.

Wir bekommen Dokumente gezeigt, die beweisen, dass der Terror aus der und über die Türkei nach Syrien reist. Pässe, Ausweise, Militärmarken, Listen von Kämpfern und Waffen, die Mitgliedern des IS und der Al-Nusra-Front aus Libyen, Tunesien, Bahrein und der Türkei abgenommen wurden. Die YPG/YPJ schützen offensichtlich die Menschen vor systematischen Angriffen auf eine funktionierende demokratische Gesellschaftsstruktur, die für den gesamten Mittleren Osten als Vorbild dienen könnte.

Gespräch im Ministerium zum Schutz der Frauen

In Cizîrê wurde, wie in jedem anderen der drei Kantone von Rojava, ein Ministerium zum Schutz der Frauen gegründet. In diesem Ministerium arbeiten fünf Kommissionen – Gesundheit, Kinder, Projekte, Recht und Öffentlichkeit. Insgesamt wird in langfristige und kurzfristige Projekte unterteilt.

Geplant und zum Teil schon umgesetzt ist der Aufbau von Frauen- und Jugendzentren, in denen unter anderem Traumaaufarbeitung und psychologische Betreuung umgesetzt werden sollen. Viele Frauen und Kinder sind vom Krieg traumatisiert, andere durch feudale Strukturen oder das Assad-Regime. Es gibt bereits ein Projekt zur Unterstützung von Verwitweten im Krieg Gefallener.

Momentan erarbeitet das Ministerium gemeinsam mit den Frauenkomitees in den Rätestrukturen der Stadtteile und Dörfer Gesetzentwürfe zur Stärkung der Rechte der Frauen. Polygamie bzw. Mehrfachheirat soll verboten, das Alter der Heiratsfähigkeit auf 18 Jahre heraufgesetzt werden. Insgesamt ist geplant, die Frauenrechte auf allen gesetzlichen Ebenen so weit wie möglich festzuschreiben und so schrittweise auf der juristischen Ebene, parallel zu gesellschaftlichen Prozessen, die Gleichberechtigung durchzusetzen.

Das Ministerium führt zudem eine soziologische Studie durch. Frauen werden systematisch u. a. über ihren Bildungsstand, Gesundheitszustand und Probleme im Alltag befragt, um eine Politik entwickeln zu können, die an den Bedürfnissen der Gesellschaft orientiert ist.

Mit den êzîdischen Frauen im Newroz-Flüchtlingscamp setzt das Ministerium zum Schutz der Frauen ein Projekt um, in dessen Rahmen eine Studie über die erfahrenen Kriegsverbrechen durch den IS und die Erlebnisse auf der Flucht erstellt wird. Darüber hinaus soll auch auf internationaler Ebene mit PsychologInnen und MenschenrechtlerInnen zusammengearbeitet werden, um die Traumata aufzuarbeiten und Techniken des Umgangs damit erlernen zu können. Erfahrene Fachkräfte, die Interesse haben, sich daran zu beteiligen, sind herzlich eingeladen.

Gespräch in der Frauenakademie

In jedem der drei Kantone von Rojava gibt es eine Frauenakademie. Dort werden Frauen gemäß der wissenschaftlichen Methode der Jineolojî/Frauenwissenschaft unterrichtet.

Jineolojî/Frauenwissenschaft ist eine moderne Wissenschaft, die auf der Analyse der bisherigen Wissenschaftsmethoden und einer Synthese der Lehransätze der letzten fünf Jahrtausende beruht. Die Frauen in der Akademie gehen davon aus, dass die herkömmliche Historiographie und Wissenschaft die eigentlichen AkteurInnen der Geschichte – die Bevölkerung –, und noch weiter gehend die Frauen, systematisch aus der Geschichtsschreibung und oft auch aus der Wissenschaftsentwicklung ausgeblendet hat. Die handelnden Menschen finden im Gegensatz zu den Herrschenden kaum Erwähnung. Diese eingeschränkte Sichtweise soll überwunden werden. Es geht darum, zentrale Fragen zu stellen: Warum sind bestimmte Ereignisse geschehen? Wer hat wann, wie und warum gehandelt? Wer hat welche Rolle in der Gesellschaft eingenommen oder zugewiesen bekommen?

Insbesondere beschäftigen sich die Frauen in den Akademien mit Kultur, Wissenschaft, Sprache, Geschichte und Demokratietheorie. Ein zentraler Diskussionsstrang dreht sich um die Frage, auf welche Weise die Demokratie in den letzten Jahrhunderten auf negative Weise in die Gesellschaft eingeführt wurde – und wie das in Zukunft verbessert werden kann.
Insgesamt gibt es 12 Fachbereiche, die in mehrwöchigen Kursen unterrichtet werden. In dieser Zeit leben die Frauen gemeinsam in der Akademie und gestalten das Leben kollektiv.

»Die Frauenwissenschaft soll weiterentwickelt werden – es handelt sich nicht um eine Ideologie, da das zu eingeschränkt wäre«, erläutert unsere Gesprächspartnerin, Dolcin Akin. »Die Wissenschaften in Europa haben es nicht geschafft, angemessene Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme zu finden. Auch der Feminismus blieb oft an einer Stelle stehen und reproduzierte letztendlich patriarchale Strukturen. Wir setzen uns hier damit auseinander, was zu gesellschaftlichen Spaltungsprozessen und Hierarchien geführt hat und wie wir diese überwinden können. Vor fünf- bis sechstausend Jahren wurde die Frau als Gottheit verehrt und dann bis heute kontinuierlich schrittweise immer weiter von Achtung sowie Teilhabe ausgegrenzt. Mit einer humanistischen Ethik und den Erkenntnissen der Jineolojî wollen wir eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft herbeiführen. Ethik und Ästhetik bilden eine Einheit – in der jetzigen Gesellschaft wird das oft voneinander getrennt. Wir trennen dagegen nicht unsere innere und äußere Schönheit.

Die kapitalistische Gesellschaft beruht auf Ausgrenzung. Das ist die Grundlage für Krieg. Die in der kapitalistischen Ideologie enthaltenen Prinzipien der Konkurrenz und des Profitdenkens sowie des Konsums sind entscheidende Grundlagen der gesellschaftlichen Spaltung. Eine Wissenschaft, die nicht aus der Mitte der Bevölkerung entsteht, wird lediglich von Eliten verwendet, um die Menschen zu unterdrücken. Wir wollen dagegen gemeinsam mit allen Menschen eine Wissenschaft entwickeln, die für alle gesellschaftlichen Bereiche und für jeden Menschen anwendbar ist und den Menschen ermöglicht, sich schrittweise zu befreien. Durch die Frauenwissenschaft wollen wir ein Teil der Demokratie und des Demokratisierungsprozesses sein. In unserer Wissenschaft steht die Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund. Die Kommunen und Räte sind Teil dieses Entwicklungsprozesses. Wir bieten Unterrichtseinheiten meist ausschließlich für Frauen an. Einige Kurse sind auch für Männer geöffnet«, erklärt die Leiterin der Frauenakademie.

Fazit

Die demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen in Rojava strahlen eine große Schönheit und Anziehungskraft aus. Hier entsteht trotz ungeheuren Drucks und Gewalt von außen eine wirklich demokratische und solidarische Gesellschaft. Das wird offensichtlich von den »Großmächten« als Gefahr gewertet, da in Rojava das Gegenteil von einer kolonial abhängigen Gesellschaft entsteht. In dem Konflikt um Kobanê und Rojava stehen sich zwei vollkommen unterschiedliche Gesellschaftsmodelle gegenüber: die neokoloniale Aufteilung und die basisdemokratische Selbstverwaltung. Eigentlich wäre die Gesellschaftsgestaltung in Rojava ein positives Modell für die Demokratisierung des gesamten Mittleren Ostens. Aber das kapitalistische System profitiert eher von Krisen und destabilisierten Gesellschaften und greift deshalb zu aggressiven Modellen der Konfliktlösung.

Die Türkei hat ein starkes Interesse daran, die Selbstverwaltungsstrukturen zu zerstören. An ihnen sind KurdInnen, die Abdullah Öcalan nahestehen, entscheidend beteiligt. Schon seit langem forderte die Regierung Erdoğan deshalb eine Pufferzone in Rojava, um die Region zu entvölkern. Dazu ist auch geplant, die UN zu instrumentalisieren. Die türkische Regierung ist ein enges Bündnis mit dem IS eingegangen. Um ihre eigene regionale Macht zu stärken, beabsichtigt sie Assad zu stürzen.

Auf Video, durch Fotos und AugenzeugInnen wurde mehrfach dokumentiert, wie die türkische Armee über eine grenznahe Bahnstrecke und per LKW Panzer und schwere Waffen in der Nähe Kobanês an den IS lieferte. Dessen Kämpfer werden in türkischen Krankenhäusern medizinisch versorgt und danach wieder zum Kämpfen nach Syrien gelassen. Pflegepersonal beschwerte sich bereits darüber bei Staatspräsident Erdoğan. Rekruten des IS werden organisiert über Istanbul und Ankara nach Syrien geschleust. Die Grenzen von der Türkei nach Kobanê sind für Kämpfer des IS geöffnet, während Verwundete der YPG/YPJ aus Kobanê mehrfach an der Grenze verbluteten, weil die türkischen Zollbeamten sie nicht passieren ließen. Türkische Soldaten greifen Menschen, die aus Solidarität an der Grenze ausharren, ständig mit Tränengasgranaten und oft auch mit scharfer Munition an. Fünf Menschen kamen dabei ums Leben, viele wurden schwer verletzt. Auch Kämpfern des IS wurde auf diese Weise ein Korridor geöffnet – ohne das wäre ihm ein Eindringen in den Osten des Stadtgebiets von Kobanê wohl eher nicht möglich gewesen.

Wir sollten gemeinsam mit weiteren AkteurInnen Druck auf die Bundesregierung aufbauen, dass diese sofort ihre hauptsächlich an wirtschaftlichen und strategischen Interessen orientierte Politik in Syrien, Irak und der Türkei beendet und stattdessen die demokratische Selbstorganisierung der Menschen in Rojava anerkennt und für Frieden wirkt. Nur eine selbstbestimmte demokratische Organisierung der Bevölkerung im Mittleren Osten kann langfristig Stabilität und Frieden bewirken.

Die Türkei und die Autonomieregierung unter Barzanî müssen ihr Embargo gegen Rojava sofort aufheben. Die Bundesregierung ist gefordert, humanitäre Hilfe für Rojava und die êzîdischen Flüchtlinge in Rojava zu leisten.

Die Bombardierung der PKK in den kurdischen Provinzen der Türkei ist inakzeptabel und faktisch eine indirekte Waffenbrüderschaft mit dem IS – die NATO-Mitgliedschaft der Türkei sollte suspendiert werden. Dass Sondereinheiten der Polizei in einem Krankenhaus in Pîrsûs (Suruç) ÄrztInnen unter Todesdrohungen mit einer Waffe am Kopf zwingen, ihnen schwerverletzte KämpferInnen der YPG/YPJ auszuliefern, ist inakzeptabel.

Die Grenzen nach Kobanê sollten für IS-Kämpfer und Waffen geschlossen und für humanitäre Hilfe und UnterstützerInnen sowie KämpferInnen der YPG/YPJ und Peschmerga, samt Waffen, geöffnet werden. Nur so kann und sollte der IS zurückgedrängt werden. Die KurdInnen und KämpferInnen der YPG/YPJ haben genug Erfahrung, die Peschmerga besitzen panzerbrechende Waffen. Auf diese Weise kann der IS zurückgedrängt werden. Eine Intervention ausländischer Kräfte würde dagegen auf eine neokoloniale Neuaufteilung hinauslaufen.

Weiterhin muss das PKK-Verbot in Deutschland aufgehoben und die Organisation als Dialogpartner, der für eine Demokratisierung des Mittleren Ostens steht, wahrgenommen werden. Gleichzeitig muss die PKK von der EU-Terrorliste, die ohnehin abgeschafft gehört, gestrichen werden.