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Folge meiner Stimme – Were dengê min

Filmbesprechung von Susanne Roden

Es ist Abend im abgelegenen kurdischen Bergdorf in der Türkei. Es liegt Schnee und ist bitterkalt. Die Dorfbewohner in ihren Häusern haben gegessen und bereiten sich auf die Nachtruhe vor.

Berfe und ihr Sohn Temo sitzen im Wohnraum und unterhalten sich. Seitlich vor ihnen liegt Jiyan auf einer Matratze zugedeckt und soll schlafen. Sie kann nicht schlafen. Die Großmutter soll auch schlafen gehen, soll sich ebenfalls hinlegen.

Die verspricht, dass sie auch gleich schlafen gehen wird.

 

Dann möchte Jiyan die Geschichte von dem Fuchs hören. Die Großmutter setzt sich zu ihr und beginnt zu erzählen.

Während sie spricht, fährt Militär ins Dorf und umstellt die Häuser. Die Geräusche der Fahrzeuge und die aufgeregten Stimmen der Soldaten mischen sich in die Geschichte von dem Fuchs, die Berfe erzählt. Obwohl sie die bedrohliche Situation kommen sieht und man die Spannung spürt, erzählt sie die Geschichte mit ruhiger Stimme weiter.

Die Soldaten gehen von Haus zu Haus und fordern Einlass. Sie dringen in die Häuser. Jedes Haus wird durchsucht. Die Bewohner sind verschreckt. Wonach gesucht wird, ist zunächst unklar.

Obwohl die Bewohner alles bereitwillig öffnen, wird alles durchwühlt. Kommentar der Soldaten: Aufräumen könnt ihr ja hinterher, habt ja Zeit.

Die Männer werden zusammengetrieben. Ein schwarz vermummter Informant wird zu Rate gezogen und gibt Hinweise. Daraufhin wird ein Mann aus der Reihe gezogen und zu seinem Haus geleitet. Der Kommandant kommt triumphierend mit ihm und einer Waffe zurück.

Scheinbar hat der Informant Ahnung und sattelt drauf. 20 Gewehre und mehr sollen im Dorf versteckt sein. Beteuerungen sind zwecklos nach dem Beweisfund. Die Männer werden abtransportiert und eine Rückkehr wird nur erfolgen, wenn die Waffen ausgehändigt werden.

Die Frauen sind verzweifelt und ratlos. Jede versucht eine Lösung für den Vater, Mann, Sohn oder Bruder zu finden, um diesen zurückzugewinnen.

Jiyan hat verstanden, worauf es ankommt, und macht sich auf den Weg ins Dorf. Sie geht von Tür zu Tür und bekommt, was sie begehrt.

Die Großmutter versucht indessen, alte Kontakte aufleben zu lassen, in der Hoffnung, eine Waffe zu erhalten.

Sie muss unverrichteter Dinge zurückkehren. Zu Hause angekommen, zeigt ihr Jiyan ihre eingesammelten Waffen. Berfe bittet sie ganz liebevoll, den anderen Kindern ihr Spielzeug wieder zurückzugeben, und so macht sich Jiyan erneut auf den Weg.

Währenddessen gräbt Berfe das Gewehr ihres Vaters im Stall aus, denn alle anderen Versuche, an eine Waffe zu kommen, sind gescheitert.

Sie hat erfahren, dass einer anderen Frau nach Abgabe eines Gewehrs direkt beim Kommandanten des Militärstützpunktes die Freilassung ihres Mannes für den nächsten Tag zugesichert wurde.

So machen sich Großmutter und Enkelin gemeinsam auf den beschwerlichen Weg zum Militärstützpunkt in den Bergen.

Sie warten am Eingang, bis der Kommandant vorgefahren kommt. Leider gibt es dann eine herbe Enttäuschung. Das Gewehr ist zerbrochen und löst einen heftigen Wutanfall beim Kommandanten aus. Er schikaniert auch seine Soldaten, dass sie das nicht vor seinem Eintreffen kontrolliert haben. Immerhin hätte ja eine gefährliche Situation durch Terroristen entstehen können, wenn sie nicht prüfen, was die alte Frau da in der Decke eingewickelt hat.

Gleich zu Beginn des Films werden Szenen aus dem Leben des Dorfes gezeigt, wo sich alle Dorfbewohner in einem großen Raum versammelt haben und den Geschichtenerzählern zuhören.

Die drei blinden Männer sitzen mit dem Rücken zur Wand, mit großen Trommeln in der Hand, und erzählen die Geschichte von Berfe und Jiyan. Alle hören andächtig zu. Die einzelnen Gesichter, teilweise mit leuchtenden Augen, werden eingeblendet.

Später im Laufe der Geschichte treffen Berfe und Jiyan selbst auf die Männer, die ihren Weg durch die Berge von Dorf zu Dorf gehen.

Nachdem der erste Versuch mit dem Gewehr von Berfes Vater gescheitert ist, macht sich Berfe mit ihrer Enkelin nun auf den Weg zu Verwandten in eine andere Stadt. Sie müssen mit einem Überlandbus fahren und diverse Kontrollstützpunkte passieren. Bei den Verwandten angekommen, stellt sich schnell heraus, dass sich tatsächlich eine Waffe im Haushalt befindet. Berfe wird sie zugesichert, aber man will sie ihr auf einem besonderen Wege zukommen lassen und nicht sofort mitgeben. Aber Jiyan hat aufgepasst und nachdem alle schlafen gegangen sind, stibitzt sie die Waffe aus dem Versteck, weckt die Großmutter und beide türmen.

Als sie die nächste Stadt erreichen, geraten sie fast in eine Polizeikontrolle und müssen sich schnell aus dem Gefahrenbereich entfernen. Somit bleibt nur der Weg zu Fuß über die Berge.

Die beiden durchwandern wunderschöne Berglandschaften und wenn die Lage nicht so ernst wäre, würde man sie beneiden um die Wanderung in so friedvoller unverdorbener Natur.
Berfe und Jiyan sind vom Weg abgekommen. Da tauchen wie aus dem Nichts drei Männer in traditioneller Kleidung an der Bergkuppe auf. Es sind die drei blinden Männer, die in dem Dorf unlängst Geschichten erzählt haben. Sie wandern all die Jahre von Dorf zu Dorf, von Hochzeit zu Hochzeit, um Geschichten, Märchen und Legenden zu erzählen. Dengbej. Sie sind die Hüter der Geschichte der Kurden. Sie geben dem Volk der Kurden eine Stimme, der man folgen kann.

Mit ihrem Wissen halten sie das Volkswissen wach.

Der Regisseur Hüseyin Karabey wollte seine Geschichte auf der Volkstradition basieren lassen. Er ist sich dessen bewusst, dass diese Tradition der Geschichtenerzähler langsam ausstirbt, denn das Leben verändert sich durch die modernen Medien zunehmend und diese haben einen starken Einfluss auf die bisher gelebten Traditionen.
Die wandernden Geschichtenzähler werden weniger.

„Were dengê min" wurde bei der 64. Berlinale 2014 in der Rubrik „Generation Kplus" gezeigt, neben »14plus« die Sektion für Kinder und Jugendliche. Von den eingereichten Filmen wurden 60 Kurz- und Spielfilme für »Generation« ausgewählt. International hat die Berlinale einen guten Ruf und besonders die Rubrik »Generation« wird für ihre gute Qualität auf hohem Niveau gelobt.

Maryanne Redpath, die seit sechs Jahren die Kinderfilmsektion leitet, möchte am Konzept des anspruchsvollen Kinderkinos auf Augenhöhe festhalten, dabei nicht dem Niedlichen verfallen.

Kleine Kinder können meist Fantasie und Wirklichkeit nicht so klar unterscheiden, aber ab sieben, acht Jahren, da registrieren sie, dass der Film etwas Gemachtes ist, dass da eine Kamera ist.

Wichtig bei einem Film für »Generation« ist die Augenhöhe, mit der er aus der Warte junger Menschen erzählt, sie sollen ihre Freuden und auch Nöte darin wiederfinden. Auch Gewalt und Tod sollen kein Tabuthema sein, aber es kommt auf die Art der Darstellung an. Diese Themen gehören auch in das Leben von Jugendlichen und Kindern. Dabei sind Erzählweise und Distanz wichtig.

Jiyan ist sehr verschreckt, als die Soldaten die Wohnung durchsuchen, dann aber macht sie sich ihr Bild und versucht, sich eine Lösung des Problems zu erschließen, befragt die Großmutter.

Der Film wurde in Originalsprache mit englischen Untertiteln vorgeführt. Das war sehr schön, denn die kurdische Sprache klingt sehr harmonisch und stellte dann auch einen guten Kontrast zu dem teilweise sehr lauten Gebrülle der türkischen Militärs dar.

Auch der Gesang, sowohl der Geschichtenerzähler als auch Berfes, war ein Genuss.

Die „14plus"-Filme werden generell mit englischen Untertiteln gezeigt, die „Kplus"-Filme nach Möglichkeit mit deutschen.

Bei der Vorführung von »Were dengê min« wurde zusätzlich noch in deutscher Sprache eingesprochen, was dann schon eine gewisse Reizüberlagerung darstellte.

Deutsche Filme waren in der Rubrik »Generation« dieses Jahr nicht zu finden. Vermutlich besteht eine gewisse Angst, dann unter der Kategorie Kinderfilm abgestempelt zu werden.
Maryanne Redpath betont, dass sich ein Kinderfilm in jedem Fall – analog zu den Kindern – gut benehmen sollte, also drei Akte und ein Happyend.

Vermutlich mag ich deshalb die Filme in der Sektion so gerne.

Auf die übliche Frage, wie denn Hüseyin Karabey seine Darsteller gefunden habe, erklärt er, einfach großes Glück gehabt zu haben. Seine Hauptdarstellerin Berfe sei die Frau eines Menschenrechtsaktivisten mit über fünfzehn Jahren Erfahrung. Sie habe der Rolle ein eigenes Format gegeben, Dinge wie selbstverständlich hinzugefügt und einfach ausgefüllt.

Danach habe er ein Dorf ausgewählt, in dem gedreht werden sollte. Dort hat er dann ein Mädchen für die Rolle ausgesucht. »Wissen Sie«, sagte er, »Kinder langweilen sich schnell. So ist es sehr wichtig, dass für sie die gewohnte Umgebung erhalten bleibt. Melek, die Darstellerin der Jiyan, ist dann einfach spielen gegangen, wenn es ihr zu langweilig wurde.«

Der Film spiegelt in seiner bemerkenswert gelassenen Art das wider, was ich in all den Jahren immer wieder bei den kurdischen Freunden beobachtet habe. Trotz all der Schikane, der täglichen Demütigungen, der vielen Verluste und des Leids in den Familien herrscht eine friedliche Grundhaltung vor. Eine unerschütterliche Menschenliebe.

Auch der unbeirrbare Humor und unnachahmliche Situationskomik fehlen nicht, wenn zum Beispiel Berfe mitten in der abgelegenen Bergregion einfach so mitten im Gelände auf dem Weg auf eine Wegsperre trifft, die an moderne im Erdreich verankerte Fahrradständer erinnert, und die sie im Slalom durchqueren muss, unter genauer und strenger Beobachtung einiger männlicher Militärposten.

Die Kamerafrau Anne Misselwitz, die schon früh mit szenischen und dokumentarischen Kurzfilmen Erfahrungen gesammelt und in zahlreichen internationalen Dokumentarfilmen als Kamerafrau mitgewirkt hat, beweist allemal einen wunderbar einfühlsamen Blick sowohl für die Erlebniswelt des Mädchens Jiyan als auch insgesamt für die Problematik.

Filme wie »Football Under Cover« von 2008 über den Frauenfußball in Teheran im April 2006 anlässlich des Freundschaftsspiels zwischen der iranischen Frauennationalmannschaft und einem Berliner Frauenteam, der dokumentarische »Der Die Das« aus dem Jahr 2008 über den Alltag in der Klasse 1e, den einsamen Kampf der Kinder um Anpassung und Leistung, oder der Dokumentarfilm »Ich hab auch Kopf, ich hab auch Fuß« von 2010, in dem acht Migranten unterschiedlicher Herkunft beim Besuch eines Deutschkurses im Wedding festgehalten werden, es sind immer besondere Themen, besondere Blickwinkel und Aspekte, die Kamerafrau Anne Misselwitz interessieren, sie herausfordern, ihr Interesse wecken, um es auf Film zu bannen.

Sie hat ein feines Gespür für die Sorgen und Nöte der Mitmenschen und schafft es mit ihrer besonderen Kameraführung, eine ganz besondere Atmosphäre zu erzeugen. Ihre Liebe zum Detail und eine ruhige fein beobachtende Kamera bringen dem Zuschauer viele Details und unausgesprochene Gesichtspunkte, über die er noch lange nach Filmende nachdenken kann.

So zeigt der Film auch durch geschickte Kameraführung verschiedene Aspekte des Lebens der Kurden im abgeschiedenen Bergdorf, den täglichen Kampf ums Überleben in einem durch türkisches Militär kontrollierten Gebiet, das Zusammenleben mehrerer Generationen auf engem Raum, die verschiedenen Blickwinkel aus Frauensicht und Kindersicht, das Leben der Wandersänger und Geschichtenerzähler und somit gelebte Traditionen, die Rolle des Militärs und die Situation der Soldaten.

Ich hoffe sehr, dass der Film »Were dengê min« einen guten Vertrieb für ein breites Publikum findet.

WERE DENGÊ MIN – FOLGE MEINER STIMME
Türkei/Deutschland/Frankreich 2013; Regie: Hüseyin Karabey; 105 Min.; empfohlen ab 12 Jahren